Infomail Wissenschaft Nr. 7 (Juni 2021)

Infomail Wissenschaft Juni 2021

 

 

 

 

 

 

 

 

 

INHALT

Frauen-Power für einen nachhaltigen Tourismus – Nachlese zur Veranstaltungsreihe „Frauen im Tourismus“ von respect_NFI & fairunterwegs im Mai 2021
Von CORNELIA KÜHHAS, respect_NFI
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Weiblichkeit als Erfolgsfaktor für Nachhaltigkeitsorientierung
Von NATASCHA DOCKAL, BA, FH JOANNEUM Bad Gleichenberg
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Die gläserne Decke durchbrechen! Eine zukunftsfähige Tourismusentwicklung braucht Gleichberechtigung.
Interview mit ANGELA KALISCH, Vorsitzende von Equality in Tourism
Lesen Sie in unserem tourism_LOG weiter

Nur wo es Absicht ist, profitieren Frauen vom Tourismus
von CARLA IZCARA CONDE / fairunterwegs-REDAKTION
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Ist der weibliche Habitus umweltfreundlicher?
Ein Streitgespräch von HARALD A. FRIEDL mit NATASCHA DOCKAL, NINA KAMPITSCH und SOPHIE SCHAAD (FH JOANNEUM Bad Gleichenberg)
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„Vorurteile gegen Frauen ändern sich mit jeder Erfolgsgeschichte“
Interview mit ISATOU FOON, Präsidentin der Janjanbureh Tour Guide Association in der Central River Region, Gambia
Von NINA SAHDEVA, fairunterwegs-Redaktion
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Was reisende Frauen in die Welt tragen (können)
Von MARIA KAPELLER
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Als Frau alleine unterwegs? Mittels welcher Vorbereitungen die Angst vor Gefahren einer Vorfreude weicht …
Von JULIA ZOTTER, FH JOANNEUM Bad Gleichenberg
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„Meine Tochter will auf eigene Faust nach Südamerika reisen. Was soll ich ihr sagen, um sie zu schützen?“
Ein Diskurs zwischen CORNELIA KÜHHAS (respect_NFI) und Harald A. Friedl (FH JOANNEUM Bad Gleichenberg)
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BM für Landwirtschaft, Regionen & Tourismus startete Plattform für Forschungsarbeiten zu Nachhaltigkeit im Tourismus
Von HARALD A. FRIEDL, FH JOANNEUM Bad Gleichenberg
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Frauen-Power für einen nachhaltigen Tourismus!

von CORNELIA KÜHHAS, respect_NFI


Ob Mitarbeitende im Tourismus, Gastgeberinnen oder Reisende – Frauen nehmen im Tourismus unterschiedlichste Rollen ein. Obwohl mehr Frauen als Männer im Tourismus tätig sind, sind sie mit zahlreichen Hürden wie Ausbeutung, Diskriminierung und gläsernen Decken konfrontiert. In einer Veranstaltungsreihe von respect_NFI und der Schweizer NGO fairunterwegs im Mai 2021 wurde beleuchtet, wie sich die Rollen der Frauen im Laufe der letzten Jahrzehnte verändert haben, warum Frauen-Power für eine nachhaltige Entwicklung des Tourismus so wichtig ist, wie Chancengleichheit geschaffen werden kann und warum die COVID-19-Pandemie insbesondere Frauen (be)trifft.

Veranstaltungsreihe Frauen im Tourismus

 

Frauen sind am touristischen Arbeitsmarkt stark vertreten – mehr als die Hälfte der Beschäftigten im Tourismus sind Frauen, dennoch besetzen sie nicht einmal ein Viertel der Führungspositionen. Die meisten Frauen sind im schlecht bezahlten Service oder in der Administration tätig, vielfach schlecht qualifiziert, ohne Chance auf Aus- und Weiterbildung. Zudem werden Frauen auch immer wieder Opfer sexueller Ausbeutung.

Ein neuer Trend im Tourismus schwächt die Position von Frauen noch weiter: Dienstleistungen – insbesondere Reinigungsdienste, in denen vorwiegend Frauen tätig sind – werden „outgesourct“. Die Hotels geben damit ihre Verantwortung an Leihfirmen ab, Sozialstandards wie soziale Absicherung, faire Entlohnung etc. werden häufig missachtet. Damit verbunden sind auch oft enorme Einkommenseinbußen.

Auch wenn es mit dem Tourismus nun wieder aufwärts geht: Frauen, die im Tourismus tätig sind, sind die Verliererinnen der Pandemie. Denn im Tourismus sind besonders viele prekär beschäftigt. Sie haben in der Pandemie ihren Job verloren, ohne soziale Absicherung und Anspruch auf finanzielle Unterstützung.

Eine nachhaltige Entwicklung des Tourismus kann nur gelingen, wenn Männer und Frauen gleichberechtigt zusammenarbeiten. Um die Geschlechtergerechtigkeit im Tourismus zu fördern, muss auf verschiedenen Ebenen angesetzt werden, darin sind sich die Expertinnen, die bei unseren Gesprächsrunden zu Gast waren, einig. Als erstes muss das traditionelle Rollenverständnis überwunden werden. Die Frauen müssen zudem die Möglichkeit haben, bei der Entwicklung von touristischen Projekten mitreden, sich aktiv einbringen und ihre Bedürfnisse artikulieren zu können. Und es muss ihnen auch der Zugang zu Ressourcen ermöglicht werden. Ein wesentlicher Faktor ist die Aus- und Weiterbildung von Frauen. Nicht zuletzt braucht es auch politische Rahmenbedingungen, die Unternehmen in die Pflicht nehmen. Denn eine nachhaltige Tourismusentwicklung und Geschlechtergerechtigkeit gehen Hand in Hand.


Eine Nachlese inkl. Videomitschnitt der Veranstaltungsreihe (in drei Teilen) finden Sie auf unserer Website:

MEHR MUT ALS KLEIDER IM GEPACK! Frauen auf Reisen – früher & heute:
zur Nachlese

DIE MACHT DER FRAUEN! Frauen in touristischen Führungspositionen:
zur Nachlese

HERRLICHE AUSSICHTEN!? Frauen im Tourismus zwischen Chancen und Ausbeutung:
zur Nachlese
 


 

Weiblichkeit als Erfolgsfaktor für Nachhaltigkeitsorientierung

Aktionsanalyse eines Tiroler Fünf-Stern-Hotels zur Frage, wie die Führungskräfte vom Österreichischen Umweltzeichen und der Nachhaltigkeitsorientierung überzeugt werden können.

Von NATASCHA DOCKAL, BA, FH JOANNEUM Bad Gleichenberg

Die Tourismusbranche ist als eine der bedeutungsvollsten Branchen für einen hohen Ressourcenverbrauch verantwortlich. Das liest sich auf den ersten Blick fatal, bedeutet aber gleichzeitig, dass hier großes Potenzial besteht: Durch Priorisierung von Umweltschutz in täglichem Wirtschaften kann viel bewegt werden. Das steigende Bewusstsein der Reisenden und der Wunsch nach Umweltschutzengagement fordern eine Analyse der Potenziale im Tourismus.

Hotel
Foto: Katrin Nolland

 

Nachhaltigkeit in der Luxushotellerie – ein Widerspruch? Exklusivität und hoher Komfort treffen auf bewussten Umgang mit Ressourcen und werden oft mit Einschränkungen konnotiert. Aufgrund der steigenden Wichtigkeit von Umweltschutz und der wachsenden Achtsamkeit der Reisenden gewinnt die Thematik auch in der Hotellerie an Bedeutung. Hier sind kreative Ansätze, sanfte Überzeugungsarbeit und Feingefühl gefragt, um den Verantwortlichen die Dringlichkeit, aber auch realistische Möglichkeiten näherzubringen.

Vor diesem Hintergrund stellte sich die Masterstudentin Natascha Dockal des Studiengangs Gesundheitstourismus und Freizeitmanagement die Frage, was genau passieren muss, damit sich Führungskräfte der Hotelbranche zum Thema Nachhaltigkeit bekennen. Ist eine Verknüpfung von Luxus, also Genuss auf hohem Niveau, mit Einsparungen im Hinblick auf ökologische und gesellschaftliche Verträglichkeit überhaupt möglich? Welche Chancen ergeben sich dadurch für ein Luxushotel? Welche möglichen Hürden stehen einer solchen Kursänderung im Weg?

Dabei wird die Hauptfrage, nämlich welche Maßnahmen hilfreich sein könnten, um die Hotelleitung eines Tiroler Luxushotels von der Sinnhaftigkeit einer Umweltzertifizierung zu überzeugen, mittels der so genannten Aktionsforschung bearbeitet. Dazu wurden in einem ersten Schritt die Verantwortlichen des Kooperationsbetriebs herausgefiltert und in virtuellen Einzelgesprächen zur persönlichen Einstellung zu Umweltschutz, potenziellen Hindernissen im betrieblichen Umfeld und Erwartungshaltungen befragt. Die daraus resultierenden Erkenntnisse wurden im Anschluss in eine überzeugende Argumentation für Hotelmanager*innen eingearbeitet. Direkt vor Ort fand die Überzeugungsarbeit sowie eine Präsentation des österreichischen Umweltzeichens statt, das für die Forschungsarbeit als Qualitätssiegel herangezogen wurde. Im Anschluss daran erfolgte ein Feedbackgespräch mit dem Hotelmanager des untersuchten Betriebs, um zu eruieren, ob die „Mission Nachhaltigkeit“ geglückt sei.

Restaurant
Foto: Cornelia Kühhas

 

Das Ergebnis der Forschungsarbeit ist nicht nur eine gelungene Überzeugung der Verantwortlichen des österreichischen Umweltzeichens. Darüber hinaus konnten viele Erfolgsfaktoren analysiert werden, die für eine Überzeugungsarbeit gewinnversprechend sind:

Erhebung der Bedürfnisse der Anspruchsgruppen
Besonders hilfreich in Bezug auf die Überzeugungsarbeit hat sich die Bedürfnisanalyse der Verantwortlichen des Luxushotels herausgestellt, da die Überzeugungsstrategie so gezielt an diese Vorstellungen angepasst werden konnte. In dieser Hinsicht erscheint es ebenso empfehlenswert, sich mit den potenziellen Herausforderungen und Ängsten seitens der Abteilungsleiter*innen zu beschäftigen, um pointierte Lösungen zu präsentieren, die mit der Bedürfnisanalyse zusammenhängen.

Die Wichtigkeit der Vorbildrolle
Die Anforderungen an die Führungskraft in einem solchen Veränderungsprozess erscheinen hoch, da sie eine Vorbildfunktion einnehmen müssen. Dies soll beim tatsächlichen kulturellen Wertewandel im laufenden Betrieb dazu beitragen, dass die Mission eher akzeptiert und das Verhalten der Mitarbeiter*innen auf Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung ausgerichtet wird.

Bewusstseinsbildung
Es erscheint empfehlenswert, dass sich jene, die Führungskräfte von einer Umweltschutzstrategie überzeugen möchten, mit Nachhaltigkeit und daraus resultierenden Potenzialen beschäftigen, um die eigene Glaubwürdigkeit und Vertrauenswürdigkeit zu fördern. Sanfte und ermutigende Kommunikation und Bewusstseinsbildung um die Chancen durch Umweltschutz im Unternehmen kann dazu beitragen, die intrinsische Motivation der Beteiligten zu stimulieren.

Wichtigkeit von Umweltschutz deutlich machen
Wichtigste Voraussetzung für diesen Wandel zum Einsatz für Umweltschutz ist es, dessen Wichtigkeit und Dringlichkeit zu begreifen: Es muss den Entscheidungsträger*innen spürbar verdeutlicht werden, dass besonders sie selbst Verantwortung unserer gemeinsamen Lebensumwelt gegenüber tragen.
Besonders spannend erscheint nun die Erkenntnis, dass vor allem so genannte Soft-Skills, wie Empathie, Menschenkenntnis, Kommunikationsgeschick und Zielorientierung zur Überzeugung beigetragen haben. Diese sanften Eigenschaften werden in Leadership und Führungsstiltheorien als „weibliche“ Attribute gesehen, die sich im Gegensatz zu strategieorientierten und kompetitiven, sogenannten männlichen Charakterzügen eher mit den Menschen, deren Bedürfnissen und empathischen Zugängen zu Problemen beschäftigen. Provokant, doch zweifellos berechtigt erscheint die Frage, ob weibliche Führung demnach als Erfolgsfaktor für die Überzeugung von Verantwortungsträger*innen zum aktiven Bekenntnis für Nachhaltigkeit betrachtet werden könne. Die Antwort aus Sicht der Autorin lautet: Ja!

 

Natscha Dockal

 

 

 

 

 

 

 

Natascha Dockal, BA, studiert das Master-Programm „Gesundheitstourismus und Freizeitmanagement“ an der FH JOANNEUM in Bad Gleichenberg. Ihre fundierte Tourismusausbildung und ihre Leidenschaft für Umweltschutz bewegen sie dazu, sich mit Nachhaltigkeit in der Hotellerie zu beschäftigen und an kreativen Lösungsansätzen zu arbeiten.

Ihre vollständige Masterarbeit zum Thema "Umweltschutz in der Luxushotellerie" wird auf der Plattform des Bundesministeriums für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus veröffentlicht.
Mehr Informationen zu dieser Plattform | direkt zur Plattform

 


 

Ist der weibliche Habitus umweltfreundlicher?

Ein Streitgespräch von HARALD A. FRIEDL mit NATASCHA DOCKAL, NINA KAMPITSCH und SOPHIE SCHAAD (FH JOANNEUM Bad Gleichenberg)

Greta Thunberg hatte vor der COVID-Epidemie durch ihre konsequente Forderung nach Klimaschutz die globale Umweltbewegung in einzigartiger Weise dynamisiert und den Impuls für die Gründung von Fridays for Future gesetzt. In Österreich gilt Dr. Helga Kromp-Kolb, emeritierte Professorin für Meteorologie und „Wissenschaftlerin des Jahres 2005“, als die Grande Dame des Klimaschutzes, die weiterhin unermüdlich lehrt und die „Allianz der Nachhaltigen Universitäten“ berät. Die britische Primatenforscherin Jane Goodall hatte als Öko- und Friedensaktivistin schon 1977 ein Institut gegründet, das sich mittlerweile in 30 Ländern für den respektvollen Umgang mit Menschen, Tieren und der Natur einsetzt. Dafür wurde sie u.a. 2017 mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet.

Freilich gab es auch herausragende männliche Wegbereiter im Kampf für die Umwelt, wie der Beinahe-US-Präsident Al Gore, der für seinen Kampf für den Klimaschutz mit dem Friedens-Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Doch gerade Al Gore war in seinem Habitus alles andere als ein „Krieger“.

Es scheint, als ob Frauen sich häufiger für Umweltschutz einsetzen als Männer. Ein Blick auf Wählerstrom-Analysen bestätigt diesen Eindruck. Demnach ist die potenzielle Grünen-Wählerschaft in Deutschland zu 60 Prozent weiblich, bei der FDP ist es umgekehrt, die AfD-Anhängerschaft ist zu 69 Prozent männlich (Kwasniewski 2017). Dieser Trend gilt auch ganz klar für Österreich, wo bei der Nationalratswahl 2019 die Grünen bei Frauen unter 44 auf Platz 2 lagen, bei Männern unter 44 Jahren hingegen die FPÖ (ORF 2019).

Wie sehen dies die drei jungen Frauen Natascha Dockal, Nina Kampitsch und Sophie Schaad? Ihnen gemeinsam ist ihr Studium am Institut für Gesundheit und Tourismus Management an der FH JOANNEUM in Bad Gleichenberg sowie die Abfassung ihrer akademischen Abschlussarbeiten über Aspekte des Umweltschutzes im Tourismus. Ist aus ihrer Sicht Umweltschutz weiblich? Harald A. Friedl führte durch die Diskussion.

Weiblicher Blick auf die Natur
Foto: Harald A. Friedl

 

Friedl: Was genau bewegt Sie dazu, sich mit Umweltschutz-relevanten Themen auseinanderzusetzen?

Dockal: Ich fühlte mich immer schon zum Natur- und Umweltschutz hingezogen, als Kind besonders aus Mitleid für erschlagene Insekten. Im Zuge meiner Ausbildung zur Tourismusfachfrau erfuhr ich über industrielle Produktionsmethoden von Fleisch. Da hatte ich gespürt: Das will ich nicht! So bekannte ich mich mit 15 zum Veganismus. Freilich war das damals auch ein bisschen Rebellion gegen meine Eltern, die eine klassisch-konservative Weltsicht vertraten. Für mich wurde damals klar: So geht’s auch, aber das will ich nicht!

Schaad: Auch ich fühle mich seit meiner Kindheit der Natur sehr verbunden. Dabei bedeutet Umweltschutz für mich Sensibilität und Achtsamkeit und das Erkennen von Zusammenhängen, insbesondere die Folgen meines Handelns auf unsere Lebenswelt und damit auf unseren Planeten. Dabei halte ich es für besonders wichtig, über den Tellerrand hinausschauen und zu verstehen, dass Umweltschutz bei uns selbst beginnt. Verzicht auf importierte Produkte, reduziertes Autofahren und Fliegen, stattdessen die häufigere Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel oder des Fahrrads können positive Impulse setzen. Genauso wichtig ist für mich die Aufforderung der politischen und wirtschaftlichen Verantwortungsträger*innen zu aktivem Handeln. Darum unterstütze ich die Fridays-for-Future-Bewegung in Bremen. Wir sind eine Generation, die für die Zukunft auf die Straße geht – eine Chance für die Demokratie ...

Kampitsch: Für mich ist früh klargeworden, dass ich als Mensch auf diese Erde aus einem zwingenden Grund aufpassen muss, denn ohne Erde kann es keine Menschen geben! Und wenn ICH es nicht tue, warum sollten es dann andere tun? Darum versuche ich, meinen Beitrag für einen lebenswerten Planeten für unsere Urenkeln zu leisten, so gut es eben geht. Dabei versuche ich auch an mein soziales Umfeld zu appellieren … Zu dieser Überzeugung kam ich in Schüben. Als Verstärker wirkte meist die Konfrontation mit Berichten über Regenwaldrodungen für Erdölbohrungen, nur damit der Ölpreis wieder sinken kann. Das empfinde ich als besonders erschreckend.

Dockal: Genau, wie auch der Braunkohleabbau in Deutschland oder die Unfälle der Atomkraftwerke. Im Fall von Tschernobyl war das so nahe. Ich habe auf YouTube recherchiert und dabei Erschreckendes gesehen. All das war für mich auch ein Nährboden für meine Rebellion gegen einen Habitus, dem ich nicht entsprechen wollte. Ich bekenne mich zu Sensibilität!

Kampitsch: Ich bin in einem kleinen Dorf in Kärnten zuhause, wo gegenseitige Unterstützung gelebt wird. Wir beziehen unser Fleisch vom Biohof unseres Nachbarn, und unser Gemüse und Obst bauen wir im eigenen Garten an, sind somit fast Selbstversorger. Ich erlebte mein Zuhause als sehr gut, und genau das strebe auch ich wieder an: ein Haus mit Garten auf Selbstversorger-Basis.

Schaad: Wegen der erschütternden Folgen von Massentierhaltung, wie sie Frau Dockal genannt hat, ist diese grundsätzlich abzulehnen. Ich finde sogar, dass sämtliche tierischen Produkte, somit neben Fleisch auch Eier, Milch und Käse aus solchen unethischen Haltungen boykottiert werden müssten, denn die Nachfrage bestimmt immer noch das Angebot. Darum strebe auch ich für meine Zukunft einen Selbstversorgerhaushalt an, wie Frau Kampitsch ihn beschrieben hat.

Kind in Blumenwiese
Foto: Cornelia Kühhas

 

Friedl: Welche Rolle spielt es in diesem Zusammenhang für Sie, „Frau“ zu sein?

Kampitsch: Für mich ist „Frau-Sein“ in Österreich immer noch stark mit dem traditionellen Rollenbild der Mutter, Hausfrau und Versorgerin von Mann und Kindern verbunden. Das finde ich grundsätzlich ok, vorausgesetzt, diese Rollenverteilung beruht auf einer gleichberechtigten Entscheidung. Das setzt voraus, dass Männer und Frauen auch selbst alles „können“ – im technischen Sinn: Mir ist es wichtig, eigenständig zu sein und Probleme ohne männliche Hilfe meistern zu können: ein selbstbestimmtes Leben führen zu können.

Schaad: Auch mein Frauenbild ist das einer Sorgenden für Familie und somit auch für den Planeten. Dabei spielen weitere Werte wie Empathie und das Bekenntnis zu sozialer Verantwortung eine große Rolle, weil es ein verstärktes Interesse an Umweltproblemen und am Klimaschutz auslösen kann.

Dockal: Auch für mich sind Werte wie Empathie und Fürsorge wichtig. Ich liebe es Gastgeberin sein, es meinen Gästen schön zu machen, doch ich kann auch ganz anders: gegen Ungerechtigkeiten zu rebellieren, im oberen Management etwas bewegen, nach dem Schema „Euch zeig ich’s!“. Meine Mutter hatte noch unter großen Herausforderungen in den 1960er-Jahren Jus studiert und eine beeindruckende Karriere gestartet, doch mit ihrer Mutterschaft hatte sie alles aufgegeben und kam nie mehr in den Beruf zurück. Diese große Abhängigkeit von einem Ehemann möchte ich in keinem Fall.

Kampitsch: Bei mir daheim pflegten meine Eltern eine moderne, auf Ausgleich bedachte Rollenaufteilung. Vor den Kindern waren sie beide berufstätig, doch aufgrund der jeweiligen Dienstzeiten pflegte mein Vater zu kochen, während meine Mutter die Küche aufräumte. Als wir Kinder kamen, blieb meine Mutter bis zu unserer Gymnasialzeit bei uns, dann übernahm mein Vater für ein Jahr allein den gesamten Haushalt, während meine Mutter allein berufstätig war. Stets herrschte das Prinzip: Wer Zeit hat, macht eine anstehende Arbeit, alles wird wertschätzend aufeinander abgestimmt. Das empfand ich als sehr sympathische Vorbildrolle …

Friedl: Somit scheinen Sie aus sehr unterschiedlichen Rollen-Settings zu stammen. Solche Rollenbilder und deren Verknüpfung mit bestimmten Werten ändern sich nur sehr langsam. Die Aussage, Umweltschutz sei „weiblich“, ist freilich eine Provokation, die sich bewusst an traditionellen Rollenbildern orientiert. Welcher Werte bedarf es nach Ihrer Einschätzung, damit der Einsatz für den Schutz der Umwelt als Notwendigkeit oder gar Selbstverständlichkeit empfunden werde?

Dockal: Feingefühl, Genauigkeit beim Hinschauen, empathisches Eingehen auf Menschen; achtsames Handeln aus Überzeugung; nicht Zahlen werden als vorrangig betrachtet, sondern eher Bedürfnisse!

Kampitsch: Das sehe ich auch so. Wichtig ist mir auch die Leidenschaft, um sich mit einem Thema vertraut zu machen, mit den Folgen und Risiken von Aktivitäten auseinandersetzten, denn darum geht es doch: um die Abwehr von unerwünschten Nebenwirkungen!

Schaad: Ich denke, um Umweltprobleme zu lösen, müssen diese zunächst einmal als solche von den Menschen wahrgenommen werden. Die stärksten Antriebe zum Handeln erwachsen aus dem Zusammenwirken unserer Emotionen von Liebe und Angst. Die Angst um die Natur wird dann am wirksamsten, wenn sie der Angst um das eigene Wohlergehen entspricht. Das motiviert die von Frau Kampitsch genannte Abwehr von unerwünschten Nebenwirkungen. Darum wird Naturschutz für die meisten Menschen erst dann interessant, wenn das Engagement sich „lohnt“, somit spürbare Vorteile verspricht. So kann es im Fall von Photovoltaik-Anlagen die Faszination der Technik sein, die dazu entscheidend motiviert, sich eine Solaranlage aufs Dach zu stellen. Dennoch bleiben die genannten Werte Empathie und Handeln aus Überzeugung zentral, um Menschen dazu zu bewegen, einen nachhaltigen Lebensstil zu entwickeln und ihr Konsumverhalten umstellen.

Friedl: Und welcher Werte bedarf es andererseits auch, um die Bewahrung einer zukunftsfähigen Lebenswelt auch gegen entgegengesetzte Interessen erfolgreich durchzusetzen?

Kampitsch: Durchsetzungsvermögen würde nicht schaden. Dazu gehört auch Standhaftigkeit, also die Bereitschaft,zu einer Überzeugung zu stehen, doch auch fundierte Kenntnisse, um Nachhaltigkeit überzeugend vermitteln zu können. In der Politik spielt auch ein sympathisches Auftreten eine große Rolle. Ohne Sympathie kann sich Seriosität niemals durchsetzen. An diesem Feld arbeite ich noch. Bisher pflegte ich eher die Strategie der Anpassung als Mittel der Konfliktvermeidung, doch lerne ich zunehmend, dass dies – auch in zwischenmenschlichen Beziehungen – nicht immer klug ist, doch konsequente Anpassung steht auch der eigenen Weiterentwicklung im Weg.

Schaad: Durchsetzungsvermögen halte ich auch für sehr wichtig. Dazu gehört, überzeugend zu argumentieren. Im Kreis meiner Freunde diskutieren wir häufig, welches Handeln angesichts der Klimakrise sinnvoll sei. Dabei bemerke ich, Männer eher mithilfe von wissenschaftlichen oder wirtschaftlichen Argumenten und Fakten überzeugen zu können. Männer scheinen größeres Vertrauen in Institutionen und Technologien zu haben, etwa dass die Regierung die Probleme lösen werde. Natürlich können auch Männer empathisch sein, doch mit emotionalen Argumenten erreiche ich Frauen besser.

Dockal: Ich pflegte meinen Eltern lange aus tiefer Überzeugung zu widersprechen, verweigerte etwa Spargel im Winter oder Shopping-Touren. Allerdings muss Widerstand stets auch mit Empathie gepaart sein. Denn Widerstand allein als Mittel der Machtdemonstration erachte ich als destruktiv. Bei Führungskräften erlebt man oft Härte aus schlichter Angst vor Machtverlust. Ich selbst musste erst die Kunst der strategischen „Unterwerfung“ unter die Bedürfnisse meiner Wähler*innen lernen – als langjährige Sprecherin meines Studien-Jahrganges. Das ist mir anfangs sehr schwer gefallen. Doch in meiner Rolle und mit der Unterstützung von Studienkolleginnen lernte ich mich konstruktiv durchzusetzen. Damit emanzipierte ich mich auch von einer väterlichen Dominanz sowie auch von einem wenig frauen-förderlichen Umfeld in der Schule. Mich hat mein Studium an der FH JOANNEUM stark positiv geprägt.

Kampitsch: Durch mein Studium habe ich sehr viel an Flexibilität gewonnen, insbesondere die Fähigkeit ,die drei komplexen Bereiche Tourismus, Gesundheit und Management miteinander zu verknüpfen. Genau das ging mir nach der Tourismusschule sehr ab. Jetzt aber will ich wieder in die Hotellerie, insbesondere auch, um meine erworbenen Kenntnisse praktisch anzuwenden, mich eben auch durchzusetzen!

 

Kanufahren
Foto: Lisa Schopper

 

Friedl: Wir haben bislang fast nur über Frauen gesprochen. Wenn Sie Ihren Blick in Ihrem Bekanntenkreis schweifen lassen, welche Werte würden Sie denn eher „typischen“ Männern zuschreiben? Was macht einen männlichen Mann aus?

Dockal: Strategiedenken, Affinität zu Zahlen, das ständige Bemühen als der Stärkere zu erscheinen; aber trotzdem können auch Männer sehr empathisch sein. Ich glaube, dass viele Männer glauben jene „typischen“ Rollen spielen zu müssen, weil es die Gesellschaft von ihnen erwartet. So „dürfen“ Männer nicht weinen … Insofern hat diese „Männlichkeit“ viel mit Angst zu tun, nicht zu genügen, nicht akzeptiert zu werden, von Frauen belächelt zuwerden …

Schaad: Womöglich erscheint Männern umweltschonendes Verhalten als zu feminin. Das kann dadurch verschuldet sein, dass viele Ökoprodukte an Frauen vermarktet werden. Mir fällt immer mehr auf, dass Werbefirmen sich mit ihren umweltbezogenen Kampagnen und Produktbotschaften vor allem an weibliche Adressaten wenden. Damit wird riskiert die falsche Botschaft zu vermitteln, dass Nachhaltigkeit Frauensache sei. Immer noch behaupten viele, es sei unmännlich, sich um den Haushalt oder um Recycling zu kümmern. Verantwortung für Umweltfolgen besteht jedoch unabhängig von Geschlechterrollen. Dennoch werden wir nun mal von Geburt an sozialisiert. Die Entscheidung für ein bestimmtes Auto ist darum vor allem Ausdruck der Erwartungen unserer gesellschaftlichen Bezugsgruppe.

Kampitsch: Ich kenne wiederum die andere Seite: Frauen, die nach außen „cool“ wirken wollen und darum einen Macho mit coolem Auto als Partner wählen … und sich dann über dessen Mangel an Feinfühligkeit beklagen. Nach außen scheinen sich solche Frauen „zufrieden“ zu geben, nach innen dürften sie aber ziemlich frustriert sein …

Dockal: Emanzipation sollte man verstehen als situative Anpassung an jeweilige Umstände. Wichtig ist es – für Frauen wie für Männer – zu erkennen, wann Widerstand wichtig und richtig sei. Gesellschaftliche Zwänge sind zuweilen auch sehr stark. Manchmal ist darum Anpassung einfach eine kluge Form der Schonung eigener Ressourcen.

Friedl: Der Postfeminismus geht weitgehend ab von einer Unterscheidung des „Wesens“ von „männlich“ und „weiblich“ auf Basis des biologischen Geschlechts. Vielmehr wird das soziale Geschlecht wesentlich als Ausdruck von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen betrachtet. Überspitzt formuliert bedeutet dies: Charakter – männlich wie weiblich – bildet sich aufgrund von Umständen heraus. Dennoch spielen auch Vorbilder eine wichtige Rolle für die persönliche Orientierung. Kennen Sie die eine oder andere weibliche wie männliche Persönlichkeit von heute, die Sie als Role-Model für eine zukunftsfähige Lebensweise nennen würden?

Dockal: Viele Menschen bemühen sich um einen nachhaltigen Lebensstil, auch Celebrities, doch das ultimative Role-Model fällt mir nicht ein. Das hat auch damit zu tun, dass das Leben ein ständiger Lernprozess ist. Weil sich die Welt und mit ihr die Zukunft verändert, müssen sich auch Role-Models verändern.

Schaad: Als Vorbild würde ich Greta Thunberg und Luisa Neubauer nennen – Frauen, die sich in besonderem Maße für den Klimaschutz engagieren und viele Menschen damit erreichen.

Kampitsch: Ich denke, jede*r kann seinen/ihren persönlichen Beitrag leisten. Mir hilft es nicht, wenn ein Celebrity viel Gutes tut, denn wer mehr Möglichkeiten wie größere finanzielle Mittel hat, kann auch mehr tun. Mich interessieren darum mehr die Role-Models im persönlichen Umfeld, wie meine Eltern. Von ihnen schaue ich mir positive Aspekte ab, lerne davon, entwickle sie für mich weiter …  

Dockal: Ich beobachte gerne Menschen, wie sie im Kontext ihrer jeweiligen Lebensumstände mit der Welt umgehen: Wer etwa geht in Unverpackt-Läden, wer kommt ohne Auto zurecht … Von wem kann ich für meine eigene nachhaltige Lebenspraxis etwas lernen …

Friedl: Würden Sie demnach abschließend urteilen, dass Umweltschutz eher „weiblich“ sei?

Kampitsch: Das hängt letztlich von der jeweiligen Situation ab, wann man wo welche Fähigkeiten einsetzt, wann es passt.

Dockal: Und so fundamentale Fertigkeiten wie Selbstreflexion, also die Evaluierung des eigenen Verhalten ist doch vor allem eine menschliche Fähigkeit!

Schaad: Umweltschutz ist weder männlich noch weiblich. Wer immer die Natur wertschätzt, zeigt damit, ihre Wichtigkeit für unsere Zukunft und unsere Nachkommen verstanden zu haben. Respekt gegenüber der Umwelt ist somit Ausdruck von Mitmenschlichkeit: dass wir mitdenken und mitfühlen und uns unserer moralischen Verantwortung stellen.

Friedl: Ich danke für das wertvolle Gespräch!

Natascha Dockal

Natascha Dockal, BA, ist Masterstudentin an der FH JOANNEUM in Bad Gleichenberg. Sie möchte ihre touristische Leidenschaft mit Nachhaltigkeit und modernem Feminismus verknüpfen und an kreativen Lösungsansätzen für zukunftsfähiges, respektvolles Reisen arbeiten.

 

Sophie Schaad

Sophie Schaad ist Studentin im Studiengang „Gesundheitsmanagement im Tourismus“ an der FH JOANNEUM, Bad Gleichenberg. Sie möchte sich in der Zukunft mehr mit der Thematik des verantwortungsvollen Reisens und des zukunftsfähigen Tourismus beschäftigen.

 

Nina Kampitsch

Nina Kampitsch ist Bachelorstudentin an der FH JOANNEUM in Bad Gleichenberg. Nach dem Abschluss ihrer Facharbeit zum Thema „Klimaschonendes Reisen“ möchte sie sich voll und ganz ihrer Leidenschaft, dem Tourismus, hingeben.


Quellen:
Kwasniewski, N. (2017). Wie Gehalt, Beruf und Wohnort die Wahlentscheidung prägen. Der Spiegel online, https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/bundestagswahl-2017-wer-waehlt-cdu-csu-spd-fdp-gruene-linke-afd-a-1158543.html, Zugriff 31.5.2021.
ORF (2019) Wer wen warum wählte. ORF online, https://orf.at/stories/3138987/, Zugriff 31.5.2021

 


 

Was reisende Frauen in die Welt tragen (können)

Von MARIA KAPELLER

Entdeckerin in Griechenland
Entdeckerin in Griechenland (Foto: Maria Kapeller)

 

Es war in einem Jazzlokal in Krakau. Ich kannte niemanden und all die Menschen rund um mich kannten mich nicht. Die Bar war klein, wir mussten mit den Stühlen eng aneinanderrücken. Irgendwann kam ich mit irgendjemandem ins Gespräch, der mir Ewa vorstellte. Rote Haare, Mütze am Kopf, gestreifter Pullover. Auch sie war an diesem Abend allein gekommen. Sie strahlte Selbstbewusstsein aus, ein breites Lächeln zog sich über ihr Gesicht. Lange hatte sie im Ausland gelebt, erzählte sie. Gerade drehe sie einen Dokumentarfilm. Warum ich in der Stadt sei? „Mich hat es hierher getrieben, frag nicht wieso, es ist kompliziert“, murmelte ich. Ewa wusste sofort Bescheid. „Wenn jemand liebt und zurückgewiesen wird, verspürt er einen ganz realen Schmerz. Genauso, als würde man sich körperlich verletzt haben“, sagte sie mit sanfter Stimme. Wir zogen weiter, in eine Wodkabar, wo wir bis vier Uhr morgens blieben.

Reisende in Marokko
Reisende in Marokko (Foto: Maria Kapeller)

 

Uns trauen zu zeigen, wie wir sind

Reisen ist kein einseitiges Phänomen. Es ist eine Begegnung mit uns selbst und mit der Welt da draußen. Wir gehen in die Welt hinaus und tragen uns mit. Und zwar so, wie wir gerade sind. Mit all unseren Erfahrungen, Prägungen und Verletzungen. Wenn wir auf andere Menschen treffen, können wir uns abschotten. Oder wir zeigen uns, öffnen uns ein Stück weit. Das klappt nicht immer, bei Ewa und mir hat es gefunkt – zwei Frauen, zwei Leben, zwei Welten. Und doch hatten wir viel zu bereden, weil wir uns nicht davor scheuten, aus unseren Komfortzonen zu treten. Das erfordert Mut. Aber es lohnt sich. Wenn wir uns trauen, mit anderen Frauen in Austausch zu gehen, öffnet sich ein Tor mit ungeahnten Potenzialen. Wir können voneinander lernen, wir können uns gegenseitig ermutigen, wir können füreinander da sein. Wir haben es in der Hand, miteinander Momente zu gestalten, die Wellen schlagen und im eigenen Leben nachwirken. Lange, nachdem wir von unserer Reise zurückgekehrt sind.

Reisende Frauen in Marokko
Reisende Frauen in Marokko (Foto: Maria Kapeller)

 

Hoffnung annehmen und weitergeben

Ich erinnere mich in diesem Kontext an Siham aus Marrakesch. Sie hat mir verdeutlicht, was es heißt, das Herz am richtigen Fleck zu haben und auch in schwierigen Momenten voller Hoffnung zu sein. Ein einziges Mal haben wir uns bisher gesehen, als die alleinerziehende Mutter in ihrer Wohnung ein Abendessen für mich kochte. Aber wir blieben in Kontakt, wir schrieben uns und telefonierten. Wir verstanden einander trotz aller Unterschiede. Und als Siham in eine Lebensphase geriet, in der sie selbst verzweifelte, erinnerte ich mich daran, was sie mir einst geschenkt hatte: Die Fähigkeit, den Samen der Hoffnung, der Gutherzigkeit und des Mitgefühls in mir weiter wachsen zu lassen. Und so gab ich ihr zurück, was sie in diesem Moment verloren geglaubt hatte.

Touristin in Kambodscha
Touristin auf dem Fahrrad in Kambodscha (Foto: Maria Kapeller)

 

Uns gegenseitig zu mehr Mut inspirieren

Ermutigung und Ermächtigung. Auch das können wir uns gegenseitig ermöglichen. Wir Reisende können Frauen in Ländern mit weniger individueller Freiheit allein durch unsere Präsenz zeigen, welche ungeahnten Optionen das Leben noch bietet. Dass vieles machbar ist, wenn frau an sich glaubt. Es ist allerdings eine Gratwanderung, denn viele Frauen leben unter ganz anderen gesellschaftspolitischen Voraussetzungen als wir. Wie es hinter den Kulissen aussieht, lässt sich von außen nicht erkennen. Vermutlich können wir in manchen Situationen unbewusst die Rolle als Botschafterin der Gleichstellung einnehmen. Vielleicht können wir durch unsere Anwesenheit und durch unser Verhalten auch ein Stück weit ein altmodisches Weltbild zurechtrücken. Aber zu viel sollten wir uns nicht darauf einbilden.

Touristen Kambodscha
Tourist*innen beim Fotografieren in Kambodscha (Foto: Maria Kapeller)

 

Sich der eigenen Anwesenheit bewusst werden

Unsere Anwesenheit kann auch das Gegenteil bewirken. Sie kann Neid hervorrufen oder Unwohlsein. Oder Traurigkeit darüber, selbst nicht diese Freiheit leben zu dürfen. Außerdem ist Fingerspitzengefühl angebracht. Denn unser Dasein als „westliche“ Frau mit all unseren Werten und Bedürfnissen kann auch befremdlich wirken, verstörend, fehl am Platz. Etwa, wenn sich reisende Frauen leicht bekleidet durch muslimisch geprägte Länder bewegen. Oder wenn Touristinnen im Urlaub auf Männersuche sind. „Die tunesischen Mädchen kleiden sich zwar wie Huren, aber mehr als Küssen ist bei denen nicht drin“, erklärte mir vor vielen Jahren ein junger Einheimischer in einer Disco in Tunesien. „Die Europäerinnen schlafen auch mit uns.“ Da ist sie wieder, die Macht der Anwesenheit, einhergehend mit den negativen Auswirkungen, die das Verhalten reisender Frauen eben auch haben kann.

Wandmalerei Sofia
Wandmalerei in Sofia (Foto: Maria Kapeller)

 

Frauen am Reiseweg wirklich sehen

Eine weitere Wahrnehmung: Mit Frauen ins Gespräch zu kommen, ist auf Reisen oft gar nicht so leicht. Denn meistens sind es die Männer, die unsere Koffer ins Hotelzimmer tragen, uns durch die Stadt führen oder uns im Laden etwas verkaufen. Wenn wir Reisen als Begegnung würdigen und eben nicht als einseitiges Phänomen, dann können wir unsere innere Ausrichtung ein Stück weit auf die Frauen in den bereisten Ländern lenken. Wenn wir jede Begegnung mit anderen Frauen als Chance für gegenseitig unterstütztes Wachstum begreifen, trauen wir uns vermutlich eher, aufeinander zuzugehen. Und wenn wir das Reisen an sich als Privileg betrachten, dann möchten wir womöglich sogar etwas zurückgeben. Etwa an jene Frauen, die wir entlang des Weges treffen und die ein weniger privilegiertes Leben führen. Egal, ob in politischer, finanzieller, sozialer Hinsicht oder aufgrund privater Lebensumstände. Vielleicht möchten sie in ihrem Wesen gesehen werden, vielleicht möchten sie wertgeschätzt werden, vielleicht möchten sie einfach nur wahrgenommen und von einem Mitmenschen im Herzen berührt werden. Und vermutlich wollen wir genau dasselbe.

 

Maria Kapeller ist selbstständige Texterin und (Reise-)Journalistin in der Nähe von Salzburg. Mit den Jahren hat sie begonnen, die klassische Reisewelt sowie ihr eigenes Verhalten mehr und mehr zu hinterfragen und ist zur Langsamreisenden geworden. Auch in ihrem alternativen Online-Reisemagazin kofferpacken.at beschäftigt sie sich mit Tourismuskritik, slow travel und achtsamen Reiseideen.
Maria Kapeller | kofferpacken.at

 



Als Frau alleine unterwegs?

Mittels welcher Vorbereitungen die Angst vor Gefahren einer Vorfreude weicht …

Von JULIA ZOTTER

Julia Zotter
Foto: Julia Zotter

 

Die Globalisierung macht das heutige Reisen so leicht wie noch nie zuvor. Individualreisende bewegen sich hierbei gerne als Backpacker, auch Rucksacktourist*innen genannt, fort. Auf der Suche nach Abenteuern und neuen Erfahrungen sind sie jedoch auf sich alleine gestellt. Ungewissheit ist dabei vorprogrammiert. Als (allein) reisende Frau muss man neben den typischen Stressoren wie Gefahren für die persönliche Sicherheit, mangelhaften Zugang zu medizinischer Versorgung und der Bedrohung durch Infektionskrankheiten auch Herausforderungen betreffend die (Intim-)Hygiene bewältigen. Eine ausreichende Vorbereitungszeit dahingehend erscheint sinnvoll, um durch das Sammeln von Information vor der Reise kritischen Situationen vorbeugen zu können. Dadurch wird die als Stressor wirkende Ungewissheit neutralisiert. Auch eine vorhergehende Auseinandersetzung mit dem möglichen Umstand, im geplanten fremden Reiseland auf sich allein gestellt zu sein, ermöglicht sich, psychisch darauf einzustellen. Dass man in einem fremden Land auf unvorhersehbare Situationen stößt, mag sowohl reizvoll als auch beängstigend sein. Dennoch sind es die Entdeckerfreude und die Neugierde, die den Reiz des (Allein-)Reisens als Frau ausmachen.

Hilfestellungen wie beispielsweise Blogs von Vielreisenden bieten die Möglichkeit, einen ersten Eindruck von individuell gestalteten Reisen zu erhalten. Sie bieten unter anderem Hinweise über mögliche Reiseziele, die für Rucksacktourist*innen geeignet sind. Ebenso bieten Reisepacklisten die Sicherheit, bei der Vorbereitung des geplanten Trips nichts Unentbehrliches zu vergessen. Informationen über sinnvolle Impfungen für eine Reise können im Internet unter https://tropeninstitut.at/ abgerufen werden.

Wenn man sich als Individualreisende in der Vorbereitungsphase hinsichtlich medizinischer Belange überfordert fühlt, ist die Konsultation eines Reisemediziners sinnvoll. Dieser kann unter anderem nicht nur gesundheitliche Fragestellungen abklären, sondern über die optimale Ausgestattung der Reiseapotheke beraten.

Julia Zotter
Foto: Julia Zotter

Information zur eigenen Sicherheit bietet die Internetseite des Bundesministeriums für Äußeres – mit Hinweisen über aktuelle Reisewarnungen unter https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/. Um für den Fall einer akuten Gefahrenlage im jeweiligen Reiseland kontaktiert zu werden, empfiehlt sich eine kostenfreie Reiseregistrierung unter https://ias.bmeia.gv.at/reiseregistrierung/. Dank dieses Informationsservice über veränderte Sicherheitsbestimmungen kann unterwegs die Reiseroute individuell angepasst und so unnötigen Risiken aus dem Weg gegangen werden.

Ausreichend Vorbereitungszeit ermöglicht Frauen nicht nur, sich über das gewünscht Reiseziel zu informieren. Das dadurch erlangte Wissen reduziert das Gefühl von Unsicherheit und steigert das Selbstvertrauen und die Gelassenheit. Dadurch wird das Risiko, unter Stress zu geraten, minimiert. Dennoch kann die Autorin aus eigener Erfahrung berichten, dass jede Reise neue Überraschungen mit sich bringt. Selbst wenn man bereits auf zahlreiche und vielfältige Reiseerfahrungen zurückblicken kann, und auch wenn der Rucksack immer schneller und zielstrebiger gepackt wird, paart sich die Vorfreude auf den nahenden Aufbruch immer noch mit einer gewisse Anspannung. Genau darin liegt der Reiz, als Frau individuell zu reisen ...

 

Julia Zotter studiert Gesundheitsmanagement im Tourismus an der FH JOANNEUM in Bad Gleichenberg. Ihr Praktikum während der Corona-Pandemie verbrachte sie in Norwegen. Ihre Bachelorarbeit verfasste sie über „Strategien zur Bewältigung von reisetypischen Stressoren von Backpackern“, die als Forschungsbeitrag zu Tourismus und den SDGs (Ziel 3) in Kürze auf der Plattform für Forschungsarbeiten zu Tourismus & SDGs des BMLRT veröffentlicht wird.

 


 

„Meine Tochter will auf eigene Faust nach Südamerika reisen. Was soll ich ihr sagen, um sie zu schützen?“

Ein Diskurs zwischen CORNELIA KÜHHAS (respect_NFI) und HARALD A. FRIEDL (FH JOANNEUM Bad Gleichenberg)

Kinder werden irgendwann erwachsen und wollen Grenzen überwinden. Vom Zauber der Exotik gelockt, wollen sie ferne Welten mit außergewöhnlichen Kulturen und magischen Orten entdecken und erleben. Für besorgte Eltern, die aus den Medien von Überfällen, Vergewaltigungen, Drogenkriegen und fundamentalistischem Terror in jenen Welten jenseits der All-inclusive-Resorts hören, eine Horror-Vorstellung. Was kann/soll man dem Kind als Ratschlag mitgeben, wenn es sich diesen Gefahren und Verlockungen aussetzen möchte?

 

Sehnsucht nach authentischem Reiseerlebnis
Sehnsucht nach einem authentischen Reiseerlebnis (Foto: Harald A. Friedl)

 

Friedl: Als einfachste Antwort erscheint mir die Gegenfrage, wie man die Welt betrachtet: Als zauberhafte Wunderwelt voller liebenswerter Menschen und ungetrübter Schönheiten, die nur darauf warten, besucht und bestaunt zu werden? Oder als gefährlichen, düsteren Ort voller böser, verlogener und gewalttätiger Menschen, die sich mit heimtückischer Freundlichkeit maskieren, um ihre Opfer ins Verderben zu locken?

Die Wahrheit ist – wie so oft – höchst differenziert. Man findet alles, in allen Abstufungen, vom Paradies bis zur Hölle. Nur eines ist die Welt zweifellos nicht (nur), auch wenn sie von der Tourismusindustrie gerne so dargestellt wird: ein einziger großer Boulevard, über den exhibitionistische Tourist*innen ungestört schlendern können, um zu sehen und gesehen zu werden, um ihre Aufmerksamkeit und ihr Geld gegen wohldesignte Produkte zu tauschen. Das gibt es auch, perfekt inszeniert auf Ozeanriesen und in All-inclusive-Anlagen, wo sich alles nur um die Bespaßung der Kund*innen – gegen bare Münze – dreht. Sobald man aber die Grenze dieser perfekten Tourismuskolonien überschreitet, herrscht die Fremde: andere Menschen mit anderen Sorgen und Bedürfnissen, mit anderen Regeln und Risiken. Hier gilt es zunächst Demut zu lernen und Aufmerksamkeit, indem man sich als Eindringling in ein fremdes Zuhause zu begreifen lernt, als Fremdkörper, als ahnungsloser Lehrling. In dieser Rolle hat man die großartige Chance, der „authentischen“ Welt jenseits ihrer marktgerechten Inszenierung zu begegnen, mit all ihren Zaubern und Grausamkeiten. Daran kann man wachsen, vorausgesetzt man ist behutsam, setzt vorsichtig Schritt für Schritt im Respekt vor den lauernden Gefahren des – noch – Unbekannten …

Kühhas: Apropos Fremde und lauernde Gefahren: Wenn wir in die Geschichte zurückblicken, waren es die Männer, die als Eroberer, Entdecker und Reisende unterwegs waren. Diese „Eroberungsmentalität“ schwingt ja leider im Tourismus noch immer mit. Da werden Destinationen touristisch „erobert“, nach den vermeintlichen Bedürfnissen der Tourist*innen aus fernen Ländern ausgebaut, lokale Kulturen verdrängt oder als Attraktion kommerzialisiert – auf die lokalen Ressourcen, die Bedürfnisse der Einheimischen und ihre Gepflogenheiten wird wenig Rücksicht genommen.

Die wenigen Frauen, die in den vergangenen Jahrhunderten – entgegen der gesellschaftlichen Etikette – reisten, waren meist auf Pilgerfahrt oder auf Forschungsreise, getrieben von der Wissbegierde und nicht vom Eroberungsdrang. Ich denke schon, dass Frauen auch heute eher anders reisen als Männer, dass sie für Themen wie Nachhaltigkeit aufgeschlossener sind, sich – weil sie eben nicht die Eroberinnen sind – gut auf neue Situationen einstellen und reagieren und letztendlich auch mit potenziellen Gefahren gut umgehen können.

Friedl: Aus historischer Sicht hast Du zweifellos Recht, was auch mit den damals herrschenden und zwingenden Rollenmustern zu tun hat. Allerdings gab es auch schon früher herausragende, wenn auch sehr wenige Ausnahmen, die auf respektvolle und angepasste Weise fremde Welten entdeckten – wie etwa Heinrich Barth oder Richard Francis Burton. Als leidenschaftlicher Feminist stelle ich mir jedoch die Frage, wie man junge Menschen generell, insbesondere aber eine junge Frau, bestmöglich auf eine solche Reise in Regionen jenseits der touristisierten Welt vorbereiten könne? Das Wesen der touristisierten Welt liegt in ihrer mundgerechten Konsumierbarkeit. Um sie zu erfahren, braucht man nur das nötige Maß an Muße, Zeit und Geld. Jenseits dieser Grenzen gelten andere Regeln mit anderen Herausforderungen. Sich, den eigenen Geist und Körper, darauf gezielt vorzubereiten, sich in der Konfrontation mit dem Unerwarteten zu üben, ist die beste Vorbereitung. Konkret bedeutet dies, im Umfeld des eigenen vertrauten Lebensraums bewusst solche Räume und Situationen anzusteuern und sich diesen auszusetzen, an denen man normalerweise achtlos vorbeigeht und die einem darum wenig vertraut sind. Für den Anfang eignet sich dazu ein Stück Wald, in den man sich einfach mal für eine Stunde hinsetzt und wartet, was passiert …

Dabei wird man lernen, dass der Boden feucht ist – und eine Sitzauflage die nächste Naturexpedition komfortabler gestaltet; dass Insekten sich für nackte Haut interessieren – und langes, hautbedeckendes Gewand beim nächsten Besuch vor unerwünschter „Zudringlichkeit“ schützt; dass grelles oder raschelndes Gewand die Tiere verschreckt und verstummen lässt – und eine sorgfältige Auswahl einer angepassten Garderobe beim nächsten Eintauchen in die Fremde Erleichterung verschafft, um von den besuchten Bewohnern leichter toleriert zu werden …

Anpassung an fremde Kulturen
Anpassung an fremde Kulturen (Foto: Harald A. Friedl)

 

Kühhas: Würde man, wenn nicht die Tochter, sondern der Sohn diese Reisewünsche äußerte, dieselbe Frage stellen? Für mich schwingt hier doch auch Sexismus mit. Als Eltern wollen wir unsere Kinder – egal ob Mädchen oder Bursche – auf die Welt „vorbereiten“, sie entsprechend stärken und zu selbstbewussten, kritischen Menschen erziehen, die ihren eigenen Weg gehen. Das gilt auch fürs Reisen: Empowerment und die Bestärkung, sich in neuen Umgebungen und Situationen zurechtzufinden – so wie du es auch beschreibst –, sind auf jeden Fall schon mal ein gutes „Schutzschild“.

Friedl: Im Prinzip stimmt das. Auch meinen Sohn lehre ich behutsames Zuhören und die Kultivierung seiner Kraft, wie ich auch meine Tochter Bogen schießen, Boxen und Reifenwechseln lehre. Doch ich versuche beiden eben auch den differenzierten Umgang mit dem anderen Geschlecht – im Rahmen meiner Möglichkeiten – beizubringen. Insofern halte ich die Frage nicht für sexistisch. Vielmehr hielte ich es für unverantwortlich, als reiseerfahrener „alter“ Mensch einen jungen Menschen nicht auch auf die Risiken aufmerksam zu machen, die sich aus der besonderen Geschlechterrolle in verschiedenen Regionen ergeben, vor allem aber, wie man damit sowohl präventiv als auch schützend in kritischen Situationen umgehen könne. Unauffälligkeit und – im Fall des Falles – schnelle Beine sind da äußerst hilfreich …

Sicherheit trainieren
Rechtzeitig Sicherheit trainieren ... (Foto: Harald A. Friedl)

 

Kühhas: Gefahren lauern überall – auch zu Hause. Für Frauen wie für Männer. Man muss sich ihrer aber – wie du richtig sagst – bewusst sein, um sie zu bewältigen. Und dieses Bewusstsein kann man mit Information schaffen: sich vorab mit der Reisedestination auseinandersetzen – mit der Kultur, den Sitten und Gebräuchen, den Lebensverhältnissen der Menschen und ihrer Sprache ... Und auch mit dem Thema Kriminalität und mit potenziellen Gefahren. Klären wir die jungen Reisewilligen über die Risiken auf, ohne ihnen Angst zu machen! Denn Angst ist in jedem Fall ein schlechter Ratgeber und Begleiter, ebenso wie Naivität und Übermut. Wenn wir zu ängstlich sind, verschließen wir uns zudem auch dem einen oder anderen schönen Erlebnis. 

Friedl: Genau das meinte ich mit meinen einleitenden Überlegungen. Ich hatte vor zwanzig Jahren den österreichischen Volkshochschulen Praxis-Kurse über „Sicheres Reisen“ über entsprechende Vorbereitung und Prävention unterwegs angeboten. Die Kurse wurden 30 Mal angeboten – und kein einziges Mal umgesetzt, aus Mangel an Nachfrage. Das lehrte mich viel über Tourismussoziologie: Der Tourist interessiert sich nicht für die Lebenswirklichkeiten in der Wahldestination. Er interessiert sich für die passende Kulisse. Alles andere wird – aus dieser Sicht – der Verantwortung des gewählten Reiseunternehmens zugeschrieben … In kaum einem anderen Aspekt wird der Unterschied zwischen „Tourismus“ und „Reisen“ klarer erkennbar …

Welt als Kulisse
Die Welt wird leicht als Kulisse wahrgenommen (Foto: Harald A. Friedl)

 

Kühhas: Ja, Reisen bedeutet, sich fremden Lebenswirklichkeiten zu stellen und sich in ihnen zurechtzufinden. Wie gut dies gelingt, liegt auch am eigenen Verhalten und Auftreten. Als Reisende sind wir Gast, so sollten wir uns auch benehmen, den Einheimischen mit Respekt begegnen.

Friedl: … was ja auch im unmittelbaren Eigeninteresse läge: Welches Verhalten trägt dazu bei, dass mir die Einheimischen ein Lächeln schenken, anstatt Steine nachzuwerfen oder mich auszurauben. So einfach wäre es.

Kühhas: Und – was mir wichtig ist zu betonen: Diese Auseinandersetzung mit dem Reiseland ermöglicht letztendlich ja erst ein authentisches Reiseerlebnis.

Friedl: … womit wir zu einer anderen Seite derselben Medaille, betreffend den Unterschied zwischen Tourist*innen und Reisenden, kommen: der/die Tourist*in betrachtet den Urlaubsort und dessen Einheimische als „erlebnissteigerndes Konsumgut“, das den Kick durch „Exotik“ möglichst steigern möge; der/die Reisende begegnet einem Reiseland als fremden Raum, den er/sie als Gast betritt – mit entsprechender Behutsamkeit, um sich als Gast auch würdig zu erweisen und das herzliche Willkommen zu verdienen. Authentizität kann nur auf Augenhöhe und spontan aus einem gegenseitigen Bedürfnis nach Begegnung entstehen. Alles andere ist perfekt inszenierte und gespielte „Gastfreundschaft“, um einem vertraglichen Anspruch gegen Geld zu genügen.

Kühhas: Als Reisende sollten wir auch von unserem „Ego-Trip“ runterkommen, uns nicht nur auf uns selbst konzentrieren, uns nicht nur überlegen: Was kann ICH sehen, ICH erleben, welche neuen Erfahrungen kann ICH machen? Sondern wir sollten uns auch fragen: Was bringe ich selbst mit, wie werde ich wahrgenommen, welche Spuren und welchen Eindruck hinterlasse ich, wenn ich unterwegs bin?

Friedl: … Fragen, die schon allein im Interesse des Selbstschutzes hilfreich sind: Wie kann ich auftreten, damit ich nicht irritiere, verstöre, provoziere, sondern – im Sinne der ethnologischen Methode der „Teilnehmenden Beobachtung“ – in der Menge aufgehe …

 

Welt mit offenen Augen betrachten
Die Welt offen betrachten ... (Foto: Harald A. Friedl)

 

Kühhas: Nicht in allen Kulturkreisen ist es üblich, dass Frauen (alleine) reisen. Reisenden Frauen aus dem „globalen Norden“ kommt in anderen Teilen der Welt, wo die Stellung der Frauen eine andere ist als bei uns, möglicherweise eine besondere Rolle, auch eine besondere Verantwortung zu. Sie vermitteln ein anderes, mitunter fremdes Frauenbild, stoßen damit womöglich auf Unverständnis. Dem kann Frau mit angemessenem, respektvollem Verhalten, das niemanden vor den Kopf stößt oder provoziert, entgegentreten. Sie kann den Austausch und das Gespräch mit den Menschen vor Ort suchen. Als Frau kommt man oft leichter als ein Mann mit einheimischen Frauen ins Gespräch, das differenzierte Einblicke in die jeweils andere Lebenswelt eröffnet – sicherlich eine Bereicherung für beide Seiten. Und wer weiß, vielleicht wird auch die eine oder andere Frau im Reiseland ermutigt, ihre Rolle zu überdenken?

Friedl: Das ist eine spannende Frage – und eine absolute Gratwanderung: die reisende Frau als Botschafterin für Empowerment von Frauen? Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass Reisende UND Bereiste voneinander lernen können, dass es dabei immer nur auf das WIE ankommt: auf welche Weise, unter welchen Bedingungen … Hier das nötige Feingefühl zu entwickeln, ist dann schon die Kür der Kunst des Reisens.

Kühhas: Das Reisen ist sicherlich eine wichtige Erfahrung, die einen stärkt. Reisen ist also auch Empowerment für die Reisenden selbst – nicht nur als Blick über den Tellerrand, sondern man lernt und trainiert auch seine eigene Wahrnehmung, seine Anpassungsfähigkeit und stärkt letztendlich sein Selbstvertrauen …

Friedl: … insbesondere auch die hohe Kunst des Scheiterns und Wieder-Aufstehens, wenn sich ein scheinbar herzliches Willkommen als herbe Enttäuschung entpuppte, oder wenn man mit einem „blauen Auge“ aus einer brenzligen Situation davongekommen ist: Man lernt Lebens-Bewältigungs-Kompetenz, und alles, was damit zusammenhängt: Menschenkenntnis, Beobachtungsgabe, Selbstbeherrschung, Empathie … und eben auch der Umgang mit schmerzhaften Erfahrungen. C’est la vie. Das bringt einen weiter und kultiviert den in unserer Helikopter-Eltern-Welt hochgezüchteten Konsum-Narzissmus. Letztlich ist der Unterschied zwischen Reisen und Leben verschwindend: Alles kommt meist anders, als man glaubt, alles ist im Wandel, und wirklich wichtig ist nur, auf den Beinen zu bleiben und sich weiterhin einen passenden Weg durch diese Welt zu bahnen …

 

Cornelia Kühhas ist Expertin für Nachhaltige Tourismusentwicklung und Entwicklungszusammenarbeit bei respect_NFI.

Harald A. Friedl ist assoz. Professor für Nachhaltigkeit und Ethik im Tourismus am Institut für Gesundheit und Tourismus Management der FH JOANNEUM in Bad Gleichenberg. Er ist zudem Autor des Buches „Respektvoll reisen“ und „Kulturschock Tuareg“, beide im Reise-Know-how-Verlag erschienen.

 


 

BM für Landwirtschaft, Regionen & Tourismus startete Plattform für Forschungsarbeiten zu Nachhaltigkeit im Tourismus

17 Studierende der FH JOANNEUM unter insgesamt 22 Autor*innen als treibende Kraft für Nachhaltigkeitsforschung

Von HARALD A. FRIEDL, FH JOANNEUM Bad Gleichenberg

SDG

 

Wie lässt sich Nachhaltigkeitsorientierung in Forschung und Lehre an touristischen Schulen und Hochschulen besser verankern? Diese Frage stellte sich der „Runde Tisch für Ethik im Tourismus“ unter der Schirmherrschaft der Sektion Tourismus des Bundesministeriums für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus. Dieses halbjährlich tagende Gremium ist besetzt mit Expert*innen aus dem Tourismusministerium, der Tourismusbranche mit Josef Peterleithner (TUI), von NGOs wie ECPAT mit Kerstin Dohnal und respect_NFI Cornelia Kühhas sowie von Tourismusschulen und Hochschulen wie der Modul University Vienna mit Dagmar Lund-Durlacher und der FH JOANNEUM mit Harald A. Friedl. Ziel dieses Gremiums ist die Identifikation von ethisch relevanten Themen in der Tourismusbranche sowie die Entwicklung von Strategien und Methoden, um diesen tourismusethischen Themen in den Augen der Öffentlichkeit und der Politik mehr Bedeutung zu verleihen.

Der jüngste „Coup“ dieses Runden Tisches ist die Entwicklung einer Plattform für ausgezeichnete Abschlussarbeiten von touristischen Ausbildungsinstitutionen zu den Sustainable Development Goals (SDGs) der Agenda 2030 der Vereinten Nationen (The 17 Goals | Sustainable Development).

Auf diese Weise sollen Tourismus-Schüler*innen und -Studierende vor den Vorhang geholt werden, die mit ihrer touristischen Forschung Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung des Tourismus übernehmen wollen. Ein bisschen vom „Ruhm“ strahlt auch auf die engagierten Betreuer*innen der jeweiligen Forschungsarbeiten ab …

Darüber hinaus mögen diese vorbildlichen Arbeiten weitere junge Forscher*innen an den touristischen Ausbildungsinstitutionen ermutigen, sich kritischen Themen im Tourismus anzunehmen und nach Lösungen zu suchen, die unsere (touristische) Welt etwas umwelt-, sozial- und wirtschaftsverträglicher gestalten.

Die Kriterien für eine Veröffentlichung auf dieser Plattform sind einfach:

  • Die Abschlussarbeit einer Tourismusschule oder einer Hochschule in Österreich muss mit „Sehr gut“ beurteilt sein.
  • Das behandelte touristische Thema muss zumindest zu einem der 17 SDGs einen relevanten Beitrag leisten.
  • Die Approbation der Arbeit soll maximal fünf Jahre zurückliegen.
  • Die Arbeit muss von der jeweiligen Bildungsinstitution nominiert und dem BMfLRT via tourismus.sdgs@bmlrt.gv.at übermittelt werden.

Anfang Juni 2021 wurde die Plattform „Wie setzen sich Studierende, Schülerinnen und Schüler mit Tourismus und SDGs auseinander?“ auf der Website des BMLRT gestartet.

Bislang sind 22 Arbeiten zu sieben der 17 SDGs veröffentlicht. Besonders häufig beforscht wurden die Ziele „Gesundheit und Wohlergehen“ (SDG 3), „Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum“ (SDG 8), „Nachhaltiger Konsum und Produktion“ (SDG 12) sowie „Maßnahmen zum Klimaschutz“ (SDG 13). Das behandelte Themenspektrum reicht von der „Ernährung der Zukunft“ (Kuster 2020) über „wertorientierte Führung“ (Lindner 2018), die „ethische Vertretbarkeit der FIMA-WM 2022 in Katar“ (Weber 2016) und die Nachhaltigkeitsanalysen von Hotels bis zur Analyse des Volunteer-Tourismus-Marktes in Österreich (Karner 2017) sowie zu Beiträgen über klimafreundliche Reiseformen und -stile (Kampitsch 2021, Junkert 2020, Macher 2020, Knoll 2019).

Abschlussfeier
Feierlicher Abschluss des Studiums (Foto: Harald A. Friedl)

 

Von den 22 eingereichten Arbeiten stammen fünf von Absolvent*innen der Tourismusschulen Villa Blanca (Tirol), Semmering (Niederösterreich) und Bludenz (Vorarlberg). Als bislang einzige touristische Hochschule vertreten ist die FH JOANNEUM mit beeindruckenden 17 Bachelor- und Masterarbeiten aus den Studiengängen „Gesundheitsmanagement im Tourismus“ (Bachelor und Master), „Management internationaler Geschäftsprozesse“ (Bachelor) sowie „Gesundheitstourismus und Freizeitmanagement“ (Master).

Wirft man einen Blick auf die Autor*innen der zukunftsweisenden und äußerst spannenden Hochschulschriften, so fällt die überragende Dominanz der Frauen auf: Ganze 16 der 17 Arbeiten stammen aus der Feder von Forscherinnen. Daraus bereits abzuleiten, dass auch in der Wissenschaft „der weibliche Habitus umweltfreundlicher“ sei – wie von den Autorinnen Dockal, Kampitsch und Schaad in diesem Newsletter diskutiert –, wäre jedoch ein Fehlschluss. Vielmehr sind im Falle des Instituts für Gesundheit und Tourismus Management der FH JOANNEUM in Bad Gleichenberg bereits rund 80 bis 90 Prozent der Studierenden weiblich.
Bleibt zu hoffen, dass diese Plattform tatsächlich als Motivator für zukünftige studentische Nachhaltigkeitsforschung im Tourismus wirkt. Entscheidend wird hier der Einfluss und das Engagement der Leitung und des Lehrpersonals der touristischen Bildungsinstitutionen sein ...

 

FH JOANNEUM
Die FH JOANNEUM hat eine lange Tradition in der Nachhaltigkeitsforschung
(Foto: Harald A. Friedl)

 

FH (Prof.) Dr. Harald A. Friedl ist Koordinator für Masterarbeiten am Studiengang „Gesundheitstourismus und Freizeitmanagement“ der FH JOANNEUM in Bad Gleichenberg und Mitglied des „Runden Tisches für Ethik im Tourismus“ des BMLRT.