Infomail Wissenschaft (Nr. 4) – Schwerpunkt: Klimaschutz im Tourismus

INHALT

Die "Zehn Gebote" des klimafreundlichen Reisens? von Harald A. Friedl/FH JOANNEUM Bad Gleichenberg
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Klimaschutz über alles? von Cornelia Kühhas/Naturfreunde Internationale – respect
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Wie sozialverträglich ist klimaschonender Lebensstil in Österreich? von Harald A. Friedl/FH JOANNEUM Bad Gleichenberg
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Populistin Thunberg? Gastkommentar von Daniela Nutz/Chef vom Dienst der Österreichischen Gastronomie Zeitung (ÖGZ)
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Reisen for Future?! Wie geht ehrlicher Klimaschutz im Tourismus? Ein Diskurs zwischen Cornelia Kühhas/Naturfreunde Internationale und Harald A. Friedl/FH JOANNEUM Bad Gleichenberg
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Die „Zehn Gebote“ des klimafreundlichen Reisens?

Eine Pilot-Studie an der FH JOANNEUM zu Orientierungswissen für klimabewusste Reiseveranstalter und KundInnen

von HARALD A. FRIEDL Professor für Nachhaltigkeit und Ethik im Tourismus am Institut für Gesundheit und Tourismus-Management der FH JOANNEUM Bad Gleichenberg
Kanufahrer auf Raab
Foto: Harald A. Friedl


Mit der zunehmenden Evidenz des schädigenden menschlichen Einflusses auf unser Klima rückt endlich auch Tourismus in den Fokus kritischer Forschung. Doch dieses als „globale Wirtschaftslokomotive“ beschworene System ist längst tief in unsere hochmobile Kultur verwoben. Dies gilt erst recht für die Generation Z, die in der Boomphase der Globalisierung aufwuchs. „Nicht-Reisen“ erscheint darum gleichsam als kulturelle „Denkunmöglichkeit“. Doch selbst die größte Reise in Richtung klimaneutralem Tourismus beginnt mit dem ersten Schritt. Darum kann die Suche nach Faustregeln für klimafreundlicheres Reisen wichtige Impulse gegen den herrschenden Wachstumsboom liefern. Wie aber lässt sich beurteilen, ob eine Reise noch klimafreundlich“ oder bereits „shaming“ sei?

Emissionen verursachen kurzfristig unerwünschte Auswirkungen auf Umwelt, darin lebende Menschen und - über sekundäre Kosten - auch auf die Wirtschaft. Mittelfristig beeinflusst unsere erdöl-basierte Konsum- und Mobilitätskultur jedoch über das Klima unsere existenziellen Lebensbedingungen. Dieser Umstand scheint bislang prominenten Promotoren des globalen Tourismuswachstums wie der UNWTO eher Anlass zur Tabuisierung denn zur aktiven Auseinandersetzung zu sein.

Doch während das kontinuierliche Tourismuswachstum von politischer Seite bejubelt wird, wächst zugleich auch die Zahl jener reisefreudigen, aber verantwortungsbewussten KundInnen, die sich diesem völlig neuen Paradigma des anthropogenen Klimawandels couragiert stellen wollen. Klimabewusstsein, sobald ernstgenommen, versetzt selbst leidenschaftlich „grüne“ Menschen in ein schmerzhaftes Dilemma, weil die Entwicklung unserer Globalisierungskultur mit ihren Kommunikations- und Mobilitätsmustern über mobiles Internet, AirbnB und Booking.com zur Ausprägung hochmobiler Lebensstile und damit verbundener Netzwerke führte. Dass aber diese gelebten Kontakte von heute auf morgen aus Klimaschutzgründen virtualisiert und langgepflogene Träume von exotischen Paradiesen kurzerhand begraben werden, ist mehr als nur unrealistisch … Was also ist die bessere Alternative zur Resignation? Wie umgehen mit diesem Klimadilemma?

Menschen waren zu allen historischen Zeiten mit Umwälzungen und den daraus folgenden, ethischen Herausforderungen konfrontiert. Daraus erwuchsen oft Strategien einer tastenden Kompromissbildung, die zuweilen eine richtungsweisende Vorbildwirkung für nachfolgende Trends entfalteten. Was aber sind bei der Gestaltung einer klimafreundlichen Reise „gute“, weil ethisch vertretbare und nicht etwa „faule“ Kompromisse? Keine einfache Frage, denn die Zusammenhänge zwischen Klimafreundlichkeit, Umweltschonung und Sozialverträglichkeit sowie ökonomischer Nachhaltigkeit sind komplex, zuweilen widersprüchlich und manchmal selbst aus wissenschaftlicher Sicht keineswegs eindeutig bestimmbar.

Traditionelles Dorf, Freilichtmuseum
Foto: Harald A. Friedl

Will ein Unternehmen etwa klimaneutralen Gesundheitsurlaub anbieten, so stellt sich die Frage, ob der Transfer von der Bahn zur Unterkunft mit einem bequemen E-Mobil sinnvoller sei als mit einem Benziner, wenn der nötige Strom aus einem herkömmlichen Energiemix bezogen wird. Und ist es zweckdienlicher, die Vitamine versprechende Obstschale im Winter mit Bio-Äpfeln aus Neuseeland zu bestücken oder doch besser mit Äpfeln aus dem regionalen Kühlhaus? Sind Flugkompensationszahlungen lediglich moderner Ablasshandel, oder können sie tatsächlich unvermeidliche Flugemissionen effektiv und sozialverträglich neutralisieren? Und bei welchem Anbieter wäre dies am sinnvollsten?

Derartige Fragen sind für Reiseveranstalter zu komplex, um sie gegenüber ihren Gästen wissenschaftlich fundiert, kompetent und überzeugend beantworten zu können. Denn hinter scheinbar widersprüchlichen Optionen verbergen sich zumeist neben vielschichtigen technischen Zusammenhängen vor allem auch Wertungsfragen, die nur durch persönliche Priorisierung lösbar sind.

Tourismusethik ist, obwohl seit zwanzig Jahren von der UNWTO promotet, bislang kein relevanter Bestandteil von touristischen Curricula in Österreich. Gleichzeitig ist aber eine kompetente Beratung der entscheidende Mehrwert, den Reisebüros im Wettbewerb mit Internet-Anbietern KundInnen offerieren können – vorausgesetzt, sie verfügen über derartige Kompetenzen. Diese Lücke will das laufende Forschungsprojekt schließen, indem für Reisevermittler und -veranstalter sowie für kritische ReisekundInnen eine wissenschaftlich fundierte, jedoch möglichst einfache, auf Faustregeln basierende Orientierung für die Auswahl von klimafreundlichen Reiseprodukten und -elementen erarbeitet werden soll: gleichsam „die zehn Gebote für klimafreundliches Reisen“.

Dazu werden im ersten Schritt von den Mitarbeiterinnen Nina Kampitsch und Evelyn Junkert auf der Basis von Literaturrecherchen und Experteninterviews folgende Fragen zu beantworten versucht:

  • Welche Kriterien für die Beurteilung von Klima- und Umweltschäden sind als Faustregeln für die Praxis hilfreich?
  • Welche Reiseelemente und -formen gelten als die größten Verursacher von Klima- und Umweltschäden?
  • Wo steht Klimaverträglichkeit mit anderen, wichtigen Nachhaltigkeitskriterien im Konflikt? Auf welche Weise lassen sich etwa ökologische Schäden gegen ökonomische Vorteile durch touristisches Reisen in überzeugender Weise aufwiegen?
  • Was könnten touristische „No-Gos“ – im Sinne eines „Du sollst nicht …“- sein?
  • Und was wären „ideal-typische“ Angebote, die hinreichend klimavertretbar und praktikabel, aber auch marktfähig wären, da kompatibel mit den Reisebedürfnissen der Generation Z?

Um die Forschungsergebnisse für die Praxis aufzubereiten, ist geplant, diese in Gestalt eines handlichen Reiseführers im Stil des 2005 erschienenen Vorgänger-Guides „Respektvoll reisen“ (erschienen im Reise-know-how-Verlag) zu veröffentlichen. Zudem sollen die Erkenntnisse in zukünftige Modifikationen des Umweltzeichens für touristische Produkte einfließen. Dies wird Reiseanbieter in die Lage versetzen, umweltbewusste KundInnen kompetent zu beraten und überzeugende Orientierung zu stiften, um wieder Freude am „Reisen ohne Klima-Scham“ zu ermöglichen. Dies verschafft Reisebüros einen spürbaren Wettbewerbsvorteil gegenüber dem Internet, und dies besonders unter der zunehmend klimaschutz-affinen Generation Z, die den zukünftigen Reisemarkt nachhaltig prägen wird.

 


 

Klimaschutz über alles?

Die aktuelle Diskussion um den Klimaschutz im Tourismus darf soziale Herausforderungen in der Branche nicht aus dem Blick verlieren.

von CORNELIA KÜHHAS, Expertin für Nachhaltigen Tourismus der Naturfreunde Internationale – respect
Menschenrechte im Tourismus
Foto: Lisa Schopper

 

Viel wird gerade geschrieben und diskutiert über die Klimaauswirkungen des Tourismus und seinen Beitrag zum Klimaschutz. Man schämt sich fürs Fliegen, tätigt Kompensationszahlungen und träumt vom CO2-neutralen Reisen ...

Keine Frage: Es ist wichtig, dass sich die Reisebranche und auch die Reisenden selbst mit dem Klimaschutz auseinandersetzen – und dass endlich auch Taten folgen. Doch eine zukunftsfähige, nachhaltige Entwicklung des Tourismus lässt sich nicht nur auf ökologische Fragen reduzieren.

Bei der aktuellen Diskussion um den Klimaschutz gerät leicht aus dem Blickfeld, dass der Tourismus auch Einfluss und Auswirkungen auf das Leben und die Arbeit von Menschen hat. Denn schließlich ist die Tourismuswirtschaft eine Branche, die von Menschen für Menschen gestaltet wird: von den Mitarbeitenden über die Menschen, die in den Reisedestinationen leben, bis hin zu den Urlauberinnen und Urlaubern. Letztendlich können qualitätsvolle Tourismusangebote, die langfristig tragbar sind, nur dort etabliert werden, wo die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter motiviert sind, wo faire Geschäfts- und Arbeitsbedingungen herrschen und wo die lokale Bevölkerung respektiert und eingebunden wird.

Doch ein Blick in die Praxis zeigt oft ein anderes Bild, wie diese Beispiele zeigen:

Faire Arbeitsbedingungen?
In den letzten Jahrzehnten hat sich die Tourismusbranche rasant entwickelt, die Zahl der Reisenden steigt von Jahr zu Jahr, die Urlaubsangebote werden immer vielfältiger und mehr – und auch immer billiger. Das geht oft auf Kosten der Mitarbeitenden, insbesondere jener in niederqualifizierten Jobs, wie in der Wäscherei, in der Küche, im Zimmerservice, ...
Schlagzeilen machten zuletzt Zimmermädchen in Spanien, die meist prekär beschäftigt sind. Sie haben sich zum Bündnis „Las Kellys“ (die Kriegerinnen) zusammengeschlossen, um gemeinsam an die Öffentlichkeit zu treten und für die Rechte der Reinigungskräfte im Hotelgewerbe zu kämpfen. Die „Kriegerinnen“ sind aus der Unsichtbarkeit herausgetreten und haben sich Gehör verschafft. Sie trafen den damaligen spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy, und die Regierung hat einen Aktionsplan gegen Ausbeutung am Arbeitsplatz vorgelegt. Das Bündnis wurde mit dem TO DO-Award 2019 ausgezeichnet.

Schutz der Kinder?
Vermehrte Aufmerksamkeit brauchen auch die schwächsten in unserer Gesellschaft: die Kinder. Die Kinderschutzorganisation ECPAT schätzt, dass weltweit jährlich etwa zwei Millionen Mädchen und Buben sexuell ausgebeutet werden – auch im Tourismus.

Achtung der Menschenrechte?
Die rasante und teilweise unkoordinierte Entwicklung des Tourismus wirkt sich in vielen Regionen der Welt auch unmittelbar auf die Menschen, die dort leben, aus. Dass diese Auswirkungen durchaus dramatisch und weitgreifend sein können, zeigt eine Studie des EnvJustice-Projekt des Environmental Science and Technology Institute an der Universitat Autònoma de Barcelona (Autonome Universität Barcelona) ICTA-UAB und des Stay Grounded Network. Sie haben die sozio-ökologischen Auswirkungen von Erweiterungen und Neubauten von Flughäfen untersucht. In einer Karte dokumentieren sie die Vielfalt an Ungerechtigkeiten gegenüber den Menschen vor Ort im Zusammenhang mit Flughafenprojekten auf der ganzen Welt, die vorwiegend auf die Steigerung des Tourismus abzielen: Zwangsräumungen, Landenteignungen, Zerstörung von Ökosystemen, Gesundheitsschäden durch Umweltverschmutzung. Die größten Konflikte betreffen die Landnutzung. Flughafenprojekte benötigen viel Fläche. Oft verlieren ganze Gemeinden, in einigen Fällen Tausende von Menschen, ihre Häuser und Felder – und damit ihre Lebensgrundlagen. Viele Gemeinschaften, die sich der Vertreibung widersetzen, sind staatlichen Repressionen ausgesetzt: Zwangsräumungen, Schikanen, Einschüchterungen, Verhaftungen und Gewalt. (Artikel von Stay Grounded)

Faires Miteinander?
Viele Destinationen, vor allem Städte wie Barcelona, Venedig oder Salzburg, aber auch Küsten und Strände, sind in der Urlaubshochsaison heillos überfüllt – mit mitunter negativen Auswirkungen für die einheimische Bevölkerung: Einheimische fühlen sich von den Touristenmassen überrollt, sehen ihre Lebensqualität eingeschränkt und spüren steigende Kosten für den Lebensunterhalt. Dieses Problem des „Overtourism“ wird sicherlich nicht dadurch gelöst, dass wir „klimaneutral“ fliegen! Was bringt eine emissionsfreie Anreise, wenn dennoch Tausende Touristinnen und Touristen zur selben Zeit unterwegs sind zum selben Ziel?

Entschleunigung und ein bewussteres Konsumieren würden gut tun – dem Klima, den Menschen im Tourismus und in den Destinationen – und uns Reisenden selbst!

 


 

Wie sozialverträglich ist klimaschonender Lebensstil in Österreich?

Eine soziologische Studie an der FH JOANNEUM Bad Gleichenberg über das Konfliktpotenzial von klimaschutzmotiviertem Konsumverzicht inmitten einer postmodernen Konsumgesellschaft

von HARALD A. FRIEDL, Professor für Nachhaltigkeit und Ethik im Tourismus am Institut für Gesundheit und Tourismus-Management der FH JOANNEUM Bad Gleichenberg
Inszenierung
Foto: Harald A. Friedl

 

Greta Thunbergs Proteste gegen den Klimawandel gaben den Sorgen um die Zukunft unserer globalen Entwicklung ein Gesicht, warfen aber auch viele Frage zu offensichtlichen Widersprüchen auf: Wie lässt sich klimaschonend eine Konferenz auf einem anderen Kontinent besuchen? Ja, wie lässt sich überhaupt an einer Gesellschaft aktiv teilhaben, die ihre Bedeutung wesentlich aus demonstrativem und mobilem Konsum schöpft, wenn dieser Lebensstil zugleich das wachsende Problem der Klimaerwärmung verursacht und weiter antreibt? Und vor allem: Welche innovativen Produkte kann eine zukunftsorientierte Tourismusindustrie der „Friday-for-Future-Generation“ künftig anbieten?

Infolge des verbreiteten Bewusstseins um die Klimaproblematik suchen wachsende Teile der Generation Z nach zukunftsfähigen, klimaschonenden Lebensstilen, um ihrer eingeforderten Verantwortung für ihre Zukunft auch selbst gerecht zu werden. Derzeit leben Menschen mit einem zukunftsfähigen Klima-Fußabdruck durchwegs unter sehr bescheidenen Lebensbedingungen fernab unserer energieintensiven Konsum- und Reisemuster. Demnach erscheint es für Klimaverträglichkeit zunächst unvermeidlich, unsere Lebenskultur in vielen Bereichen umzustellen und auf viele materielle und virtuelle Annehmlichkeiten des postmodernen Lebens zu verzichten.
Andererseits sehnt sich die Generation Z auch nach sozialer, teils auch globaler Verbundenheit. Sich mit „der Welt“ zu vernetzen und Gefühle, Eindrücke und Erlebnisse zu teilen, stellt eine alltagsprägende Kulturtechnik dar, die für viele Menschen wohl identitätsstiftende Ausmaße angenommen hat, frei nach der Devise: Was das Auto den Babyboomern ist, ist das Smartphone der Generation Z … Dabei dient das mobile Internet freilich auch als Katalysator zur globalen Verbreitung und Verstärkung von modernen Konsummustern.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Soziologin Sandra Macher im Rahmen ihres Forschungsprojekts an der FH JOANNEUM zunächst die Frage, welche konkrete Ausprägung „klimafreundliche“ Lebensstile aufweisen müssen, um mit dem dadurch verursachten CO2-Ausstoß unter dem Pariser Ziel zu bleiben. Im nächsten Schritt soll geklärt werden, mittels welcher Strategien die Ausprägung solcher Lebensstile gefördert und bestmöglich umgesetzt werden könne. Worin liegen die zentralen Herausforderungen, sich aus dem herrschenden System der Konsumkultur zu emanzipieren und aktive „Suffizienz“ zu leben?

Der Fokus der Forschung liegt auf der entscheidenden Frage der sozialen Verträglichkeit solcher Lebensstile als kulturelle Nachhaltigkeitsinseln im brodelnden Ozean der Kauflust: Denn während sich „gleich und gleich gern gesellt“, führt Andersartigkeit stets zu sozialen Konflikten, die sich im Laufe der Geschichte häufig auf destruktive Weise äußerten. Denn Andersartigkeit wirkt immer auch als Infragestellung des „Normalen“, was freilich im Falle eines klimafreundlichen Lebensstils durchaus gewollt wäre.
Veränderung greift in der Regel jedoch nur, wenn der intensive Aufwand dafür mit spürbar positiven Effekten belohnt wird, etwa durch Lustgewinn oder wenigstens durch die Abwendung von Schmerz, etwa in Form abgewendeter Katastrophen. Solange jedoch klimafreundlicher Lebensstil primär als „schmerzhaft“ oder „genussfeindlich“ wahrgenommen wird, kann dieser kaum Vorbildwirkung entwickeln und würde wohl ein „Minderheiten-Programm“ für „Ökospinner“ bleiben. Darum liegt die zentrale Herausforderung in der Entwicklung innovativer, klimafreundlicher Lebensstile, die trotz konsumkritischen Verhaltens dennoch ein integrierter Teil der Gesellschaft bleiben können.

Nationalpark Uganda
Foto: Harald A. Friedl

Touristisches Reisen hat innerhalb der Zielgruppe der Generation Z besonders hohe symbolische Bedeutung, da es auch Individualität und Weltverbundenheit vermittelt. Industriell „gefertigte“ Tourismusangebote weisen derzeit jedoch zumeist kritische Klimabilanzen auf, drohen somit zunehmend unter der wachsenden Zielgruppe der „Friday-for-Future“-Anhänger auf Ablehnung zu stoßen. Somit ist der Tourismusmarkt herausgefordert, „zukunftstaugliche“, klimafreundliche Produkte für eben dieses Kundensegment zu entwickeln. Wie sind demnach Reiseprodukte der Zukunft zu gestalten, um den Ansprüchen der Klimaverträglichkeit, der tourismuswirtschaftlichen Rentabilität sowie der Attraktivität für „Friday-for-Future“-Anhänger zu genügen?

Dazu werden Modelle der Umweltsoziologie, der Tourismussoziologie und der Nachhaltigkeit integriert und ein konzeptionell innovativer Weg beschritten, um einen wachsenden, bislang wenig beachteten touristischen Kundenmarkt besser verstehen und schließlich bedienen zu lernen.

Die erstrebten Erkenntnisse dieser Masterarbeit dienen somit solchen Unternehmen, die in Anpassung an Klimaerwärmung und an eine sich wandelnde Gesellschaft den dynamischen Tourismusmarkt nachhaltig erfolgreich bedienen wollen. Damit versteht sich die Arbeit als Grundlagenforschung für zukunftsfähigen Tourismus in Zeiten der Klimaerwärmung.

 


 

Populistin Thunberg?

Kommentar von DANIEL NUTZ, Chef vom Dienst der Österreichischen Gastronomie Zeitung (ÖGZ)
Boot
Foto: Cornelia Kühhas

 

Die Klimawissenschaftler wissen nicht, was Gesellschaft und Psychologie ist, konstatiert der deutsche Soziologe und Vordenker Harald Welzer. Für die meisten sind die Klimafolgen faktisch, aber werfen wir für den Klimaschutz unseren Lebensstil weg? Weniger Konsum, weniger Reisen? Nicht, wenn die Amerikaner, die Brasilianer oder die Chinesen nicht mindestens das Gleiche tun. Bringt ja sonst nichts! Der Klimadiskurs steckt also in einem spieltheoretischen Dilemma.

Einer, der Gesellschaft offensichtlich versteht, ist der amerikanische Präsident Donald Trump. Jüngst kündigte er an: die alten, energieverschwendenden Glühbirnen wieder einführen zu wollen. Die Kohleindustrie hat er bekanntlich bereits vor dem Niedergang gerettet. Eine Mehrheit ist ihm dafür dankbar – so geht Gesellschaft und so geht Demokratie im 21. Jahrhundert. Nicht das bessere Argument, die Expertise zählt, sondern vielmehr die größere, und gleichzeitig einfältigere Erzählung. Legitimiert wird dies durch die vom Volke verliehene Macht. Kann man da eigentlich dagegen sein?

Nun, da gibt es Greta Thunberg. Die junge Schwedin wurde zuletzt von fast jedem bedeutenden Nachrichtenmagazin als Art Mensch des Jahres geehrt. Ihre Anhänger sind sauer, dass das Nobelkomitee ihr den Friedenspreis verwehrte. Aber, das kann ja noch werden. Thunberg hat sich zu einer emotionalen Wachrüttlerin der Gesellschaft entwickelt. Sie will, dass alle Welt in Panik gerät. Das sitzt, führt aber auch zu Unbehagen. Wer will sich schon von einer Göre Angst machen lassen?  
Ihre Kritiker, nicht selten dem Lager der Trumps, Orbans, Johnson und Hofers zugehörig, diskutieren nicht mit ihr. Ihre Strategie: Sie nehmen sie nicht ernst, machen sich über das Mädchen lustig. Das 21. Jahrhundert hat sich ja von seiner Diskursfähigkeit befreit: Twitter, Facebook und Instagram sei Dank. Thunberg hat aber auch seriöse Kritiker. Diese werfen ihr vor, sie würde eine Art Weltuntergangspanik verbreiten. Die Kritiker haben natürlich recht: Thunberg holt viele junge Menschen auf einer emotionalen Ebene ab. Aber mal ernsthaft: Darf man einer 16-Jährigen tatsächlich zum Vorwurf machen, dass sie sich rhetorisch dem Niveau des US-Präsidenten annähert?
Natürlich ist es ein, im konkreten Fall auch ziemlich fragwürdiger, PR-Gag, wenn Thunberg mit der Segelyacht den Atlantik quert, um angeblich den CO²-Ausstoß zu minimieren. Trotzdem ist die Art, wie Thunberg agiert, die seit langem wichtigste Aktion für den Klimaschutz. Sie hilft mit Social-Media tauglichen Mitteln einen Wertwandel zu beschleunigen. Und da sind wir mitten beim Thema Tourismus.

Stimmen die volkswirtschaftlichen Prognosen, wird sich in den kommenden 20 Jahren der Städtetourismus verdoppeln. Ein Grund: steigender Wohlstand in den Schwellenländern von China über Indien bis Brasilien. Sie alle werden ihr Reiseverhalten in die Richtung entwickeln, wo die Österreicher schon längst stehen. Und von Klimasensibilität ist auch bei uns keine Rede. Das Symptom „Flugscham“ tritt weniger oft auf als die Lust auf einen Wochenend-Shopping-Trip nach Mailand oder London. Die Statistik Austria belegt den Wandel im Reiseverhalten: Reisen führen häufiger ins Ausland, sind kürzer, und das Flugzeug ist hinter dem Pkw das wichtigste Verkehrsmittel geworden.

Das Reiseverhalten muss sich ändern, ob über geändertes Konsumverhalten oder politische Rahmenbedingungen, die klimaschädliches Verhalten spürbar verteuern. Das geht aber nur, wenn sich das Bewusstsein in der Gesellschaft ändert, Menschen sensibler konsumieren und nicht mehr Klimawandelleugner zu politischen Führern machen. Klimaforscher wie Hans Joachim Schellnhuber von der Universität Potsdam warnen seit 30 Jahren vor den Folgen des Klimawandels. Schellnhuber sagt, nie habe er ähnlich viel Gehör gefunden wie die junge Greta Thunberg. Die Fridays for Future sind also ein Geschenk. Um die breite Masse zu erreichen, ist es jedenfalls zulässig, volksnahe Rhetorik einzusetzen. Es darf radikal und emotional sein.   

 


 

Reisen for Future?! Wie geht ehrlicher Klimaschutz im Tourismus?

Ein Diskurs zwischen CORNELIA KÜHHAS (Naturfreunde Internationale – respect) & HARALD A. FRIEDL (FH JOANNEUM Bad Gleichenberg)

Mit der Fridays-for-Future-Bewegung ist der Klimaschutz auch in der Reisebranche verstärkt Thema. Da ist von „Flightshaming“ die Rede, es werden Kompensationszahlungen getätigt und Bäume gepflanzt. Doch was ist sinnvoller und wirksamer Klimaschutz, was bloß ein PR-Gag im grünen Mäntelchen?

Harald A. Friedl, Professor für Nachhaltigkeit und Ethik im Tourismus am Institut für Gesundheits- und Tourismus-Management der FH JOANNEUM in Bad Gleichenberg, und Cornelia Kühhas, Expertin für Nachhaltige Tourismusentwicklung, Entwicklungszusammenarbeit und Öffentlichkeitsarbeit bei der Naturfreunde Internationale – respect, wagten das Vergnügen eines Diskurses über diese komplexen Fragestellungen …

Klimaschutz im Tourismus?
Foto: Harald A. Friedl


Kühhas: Einige Fluggesellschaften und Reedereien kündigen an, in einigen Jahren „kohlenstoff-neutral“ oder „klimaneutral“ unterwegs zu sein. Dies soll vor allem durch Emissionshandel und Kompensationszahlungen in verschiedene Klimaschutzprojekte gelingen.
Das sehe ich kritisch ... Geht die Kompensation mit einem bewussteren Reisen Hand in Hand und werden mit dem Geld auch Projekte unterstützt, die z.B. Klimaanpassungen in Ländern des Globalen Südens oder nachhaltige Tourismusprojekte unterstützen, macht dies grundsätzlich natürlich Sinn. Doch die CO2-Kompensation darf nicht als Legitimation missbraucht werden, so weiterzumachen wie bisher. Freiwillige Kompensationszahlungen können den weltweit übermäßigen CO2-Ausstoß nicht kompensieren, vor allem dann nicht, wenn der Flugverkehr weiter so rasant steigt, wie in den letzten Jahren. Die Flugbranche führt CORSIA, das Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation, ins Rennen. Demnach sollen die CO2-Emissionen auf dem Niveau von 2020 stabilisiert werden, indem die Fluggesellschaften die darüber hinaus gehenden Emissionen kompensieren. Doch die Regelungen dafür sind unklar und die NGO Transport&Environment rechnet vor, dass die CO2-Emissionen des Flugverkehrs allein in Europa von 2012 bis 2030 sogar um knapp 684 Mio. Tonnen steigen würden. (https://www.transportenvironment.org/publications/why-icao-and-corsia-cannot-deliver-climate)

Friedl: Du hast Recht, was uns aber zunächst nicht viel nützt. Denn die komplexe Problematik der Klimaerwärmung erfordert eine Herangehensweise auf mehreren Ebenen: Wir müssen einerseits die Prozesse unserer globalen Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und Interaktion mit unseren Lebensressourcen verstehen, andererseits auf dieser Basis Lösungsansätze entwickeln, die einerseits wirkungsvoll sind, andererseits aber auch durchsetzbar. Und genau dort liegt der Hund begraben. Denn die Tragödie des Tourismus ist sein enormer Erfolg als Konsumgut der Illusion: Verkauft wird der Ausflug ins Paradies, in dem alles Schlechte und Schädliche ausgeblendet wird. Der Kunde von Kurztrips in ferne Welten, ob per Kreuzschiff oder per Flugzeug, ist kein philosophischer Öko-Ethnologe, sondern aktiver Teil einer Kultur der Maximierung von Genuss, Spaß, Erlebnis und coolen Selfies zum möglichst geringen Preis. Aus neurobiologischer Sicht wird sich diese Kultur wohl erst ändern, wenn sie zu schmerzhaften Erfahrungen führt, etwa in Gestalt einer überwältigenden Angst vor Klimaextremen oder vor sozialen Unruhen in exotischen Regionen als Folgen der Klimaerwärmung.
Die Flug- und Schifffahrtsunternehmen wiederum sind in der Kultur der Gewinnmaximierung verwurzelt. Darum fürchten sie sich, so pervers es klingen mag, weit mehr vor den Folgen eines ernsthaften Wandels der Reisekultur, verbunden mit dramatischen Verlusten ihrer kapitalintensiven Industrie, als vor der Klimaerwärmung. Also tun sie, was sie immer schon am besten konnten: Schöne Geschichten erzählen – nun eben von „grünen“ Reisen ins Paradies, die genauso absurd sind wie jene vom „authentischen Erleben“ einer fremden Welt vom Balkon eines Monsterschiffes aus.

Kühhas: Ganz genau! Daher braucht es politische Lösungen und einheitliche Rahmenbedingungen und gesetzliche Vorgaben. So muss endlich Schluss sein mit der Steuerfreiheit für Kerosin. In über 20 EU-Staaten agiert der internationale Luftverkehr nach wie vor steuerfrei, in keinem einzigen Land der EU werden Steuern auf Kerosin eingehoben. Noch wichtiger wäre aber, dass Kostenwahrheit herrscht. Reisen muss wieder an Wert gewinnen, monetär und auch ideell.

Friedl: … womit Du die normative Ebene ansprichst. Mich interessiert wiederum der Weg dorthin, denn mutige, richtungsweisende Politik ist immer auch schmerzhaft und darum bedroht vom Verlust der herkömmlichen politischen Legitimation durch verlorene Wahlen. Australiens gescheiterte CO2-Bestreuerungspolitik ist dafür ein dramatisches Beispiel (https://medium.com/@traviselsum/enough-promises-on-climate-change-its-time-to-pay-up-1f8cf3cf62b2). Der jüngste Wahlerfolg der Bundesgrünen erscheint mir darum weniger Ausdruck einer Klima-Erleuchtung zahlreicher österreichischer WählerInnen geschuldet zu sein als vielmehr der desaströsen Performance der Freiheitlichen. Daraus folgt, dass herkömmliche demokratiepolitische Mechanismen nicht für solch fundamentale Herausforderungen wie der Klimaerwärmung greifen, deren Folgen auf alle Ebenen von Gesellschaft, Kultur, Lebensstil, Wirtschaft – und eben auch Politik einwirken. Ich komme darum zunehmend zur Überzeugung, dass Aktionen des gewaltfreien zivilen Widerstandes, wie sie etwa Bill McKibben, führender Umweltaktivist und Autor des Buches „Die taumelnde Welt. Wofür wir im 21. Jahrhundert kämpfen müssen“ gerade zur Unterstützung einer zukunftserhaltenden Klimapolitik unverzichtbar sind. Und dies gilt erst Recht für eine zukunftserhaltenden Tourismus-, Flug- und Kreuzschifffahrtspolitik.

Kühhas: Österreichs Flughäfen haben unlängst in einer Presseaussendung ihr Ziel bekannt gegeben, bis 2050 klimaneutral zu arbeiten. Gleichzeitig wird betont, dass die globale Luftfahrt mit „nur“ 2,7 % am weltweiten CO2-Ausstoß beteiligt ist. Dabei wird verschwiegen, dass der Luftverkehr seit einigen Jahren massiv zunimmt – Tendenz weiter stark steigend –, und dass die Schadstoff-Emissionen der Flugzeuge in den höheren Atmosphärenschichten eine verstärkte Treibhauswirkung haben.

Friedl: Korrekt. Seriöse Berechnungen der Flug-Emissionen gehen davon aus, dass der CO2-Ausstoß eines Flugzeuges lediglich ein Drittel der klimaschädigenden Auswirkungen umfasst (vgl. https://www.atmosfair.de/wp-content/uploads/flug-emissionsrechner-dokumentation-berechnungsmethode-1.pdf), dass somit die globale Belastung durch den rasant steigenden Flugverkehr um vieles höher anzusetzen ist. Wieder ein wunderbares Beispiel für die in der Tourismuswirtschaft tief verwurzelte Kultur der Beschwichtigung, Beschönigung und Vertuschung.

Kühhas: In diese Richtung geht auch die Ankündigung sowohl der Flug- als auch der Kreuzfahrtbranche, verstärkt auf alternative Treibstoffe zu setzen. Doch auch die sind nicht unbedingt umweltfreundlich und sozial verträglich. Bei Agrotreibstoffen beispielsweise stellt sich die Frage nach deren Herkunft. Rohstoffe von neu angelegten Plantagen bedeuten negative Folgen für Umwelt und Menschen vor Ort: durch Brandrodung wird Klimaschutz konterkariert; Einheimische werden verdrängt und landwirtschaftliche Flächen gehen für die Produktion von Lebensmitteln verloren.
Wo die Kreuzfahrtbranche auf Flüssiggas anstelle von Schweröl setzt, wird zweifellos die äußerst gesundheits- und umweltschädigende Emission von giftigem Schwefeldioxid beendet. Der Antrieb bleibt aber weiterhin erdölbasiert und somit klimaschädlich. Bedenklich ist zudem, dass es noch immer billiger ist, Kompensationszertifikate zu kaufen, als in die Forschung zu alternativen Treibstoffen zu investieren (Quelle: Transport&Environment). Auch die Reduktion des Treibstoffverbrauchs durch effizientere Flugtechnologie wird von der Flugindustrie als ein Lösungsweg präsentiert. Derartige Einsparungen werden jedoch durch den rasanten Anstieg der Flugreisenden mehr als „wettgemacht”.

Friedl: Ich sehe in all diesen Maßnahmen sogenannte „Quick and Dirty Solutions“, also vordergründig schnelle Lösungen, die aber am systemischen Kernproblem nichts verändern, es vielmehr noch verschärfen. Ich denke, es führt kein Weg vorbei an jenem von Dir eingangs geforderten Kulturwandel weg vom reinen „Konsum-Urlaub“. Dazu arbeite ich derzeit mit einem australischen Forscherteam um Susanne Becken zu Fragen der Relevanz der „Flight-Shame“-Bewegung. Dies könnte der Ausdruck eines solchen möglichen Kulturwandels sein. Für seriöse Einschätzungen dieses Social-Media-Phänomens ist es noch zu früh, doch sehe ich darin eine Chance, um relevanten Druck auf die Flug- und Kreuzschifffahrtsindustrie wie auch auf bislang unachtsame Kunden zu erhöhen. Ich sehe hier Parallelen zur #metoo-Debatte oder, historisch weiter zurückliegend, zum Abolitionismus, der christlich und aufklärerisch motivierten Bewegung zur Abschaffung von Sklaverei. Meiner Überzeugung nach führt kein Weg vorbei an einer fundamental veränderten ethischen Bewertung des Reisens: Derzeit wird von der UNWTO unbeirrt das „Recht“ auf Reisen beschworen, und damit das „Recht auf Klimaschädigung“ – doch ausschließlich für Menschen mit dem nötigen Kleingeld. Vorenthalten wird dieses „Recht“ hingegen Menschen auf der Flucht vor – zum Teil durch Klimawandel verursachten – katastrophalen Lebensbedingungen, ohne selbst diese Folgen wesentlich verursacht zu haben. Für derartige Fragen über Kostenwahrheit und Kollateralschäden des Reisens interessiert sich die UNWTO jedoch nicht, denn das würde Sympathien, Geld und Einfluss kosten.

Kühhas: So wird ja auch argumentiert, dass die Besteuerung des Flugverkehrs in Europa viele Arbeitsplätze kosten würde. Und würden plötzlich alle daheimbleiben, so bedeutete dies den Kollaps der Tourismuswirtschaft in zahlreichen Tourismusdestinationen, mit gravierenden Auswirkungen auf deren wirtschaftliche, soziale und politische Stabilität. Fernreisen gänzlich zu verdammen wäre darum der falsche Weg. Und schließlich öffnet Reisen ja auch den persönlichen Horizont und schafft Begegnungen mit anderen Menschen und Kulturen ...

Friedl: Genau an dieser Ideologie setzt ja die UNWTO sowie Mainstream-Tourismusmarketing an: Tourismus bringt Geld, Völkerverständigung und Friede. Für den Hardcore-Tourismus ist das blanker Unsinn, denn selfie-gesteuerte Massen folgen eingeübten Wahrnehmungs-, Entscheidungs- und Konsummustern. Da ist kein Platz ist für eine sensible, kritische und lernbereite Auseinandersetzung mit den „Bereisten“. Denn diese würde unweigerlich den Glauben an die Sinnhaftigkeit dieser Form des Reisens, aber auch dieses Lebensstils erschüttern. Tourismus als Gelddruckmaschine ist nicht minder ein Mythos, wenn wir die hohen Sickerquoten in zahlreichen Destinationen ansehen. Der Löwenanteil an den Einnahmen geht in der Regel an kapitalintensive Dienstleister wie Fluglinien und luxuriöse Hotelketten. Das klingt jetzt wie eine Renaissance der schwarzen Tourismuskritik, und ich gebe auch offen zu: Ja, ich bin in meinem Leben sehr viel gereist, habe viel gesehen und viel gelernt, doch aufgrund eben dieser zum Teil erschütternden Erfahrungen bin ich Tourismusethiker geworden. Vor allem haben sich die Zeiten, Rahmenbedingungen und Möglichkeiten dieser Welt verändert. Heute noch übers Wochenende zum Flanieren nach Barcelona fliegen halte ich darum, weil für Einheimische mehr Belastung als ökonomischer Segen, fürs Klima Gift und fürs persönliche Wohlbefinden entbehrlich, für unanständig.