Infomail Wissenschaft Nr. 13 (Mai 2024)

Infomail Wissenschaft Impact-Messung im Tourismus

 

INHALT

Impact-Messung im Tourismus: Booster für mehr Nachhaltigkeit oder lästige Fleißaufgabe? Ein Diskurs zwischen CORNELIA KÜHHAS & HARALD A. FRIEDL -- zum Beitrag

Erste Bestandsaufnahme zum Klimawandel im globalen Tourismus unter Mitwirkung der FH JOANNEUM. Von HARALD A. FRIEDL -- zum Beitrag

Tourism Impact Alliance: Den positiven Impact des Tourismus stärken. Gespräch mit MARCO GIRALDO, Managing Partner bei TourCert -- zum Beitrag

Welchen Impact schaffen internationale Konferenzen und Förderprojekte? Ein kritischer Essay von HARALD A. FRIEDL -- zum Beitrag

Vermittlung von Nachhaltigkeitskompetenzen an Österreichs Tourismusschulen: eine Bestandserhebung von Harald A. Friedl & Stefan Kürner. Von HARALD A. FRIEDL -- zum Beitrag
 


Impact-Messung im Tourismus: Booster für mehr Nachhaltigkeit oder lästige Fleißaufgabe?  

Ein Diskurs zwischen CORNELIA KÜHHAS (respect_NFI) & HARALD A. FRIEDL (FH JOANNEUM Bad Gleichenberg)

Fußspuren im Sand
© Anna Kodek

 

Vor wenigen Tagen haben die EU-Staaten das EU-weite Lieferkettengesetz beschlossen. Widerstand und Querschüsse von mehreren Seiten haben allerdings letztendlich zur Abschwächung der ursprünglichen Anforderungen geführt. Die Einwände von Interessensvertretungen gegen Impact-Messung und -Reporting sind vielfältig. Eine Replique von Cornelia Kühhas (respect_NFI) und Harald A. Friedl (FH JOANNEUM Bad Gleichenberg).
 

Cornelia Kühhas: Am mühsamen Weg bis zum Entwurf eines EU-Lieferkettengesetz erkannten wir Sorgfaltspflicht, Reporting und Impact-Messung als Reizthemen. Hier kontern Unternehmen sofort mit: „Zu zeitaufwändig, damit zu teuer.“ Ich behaupte, es komme teurer, im Blindflug unterwegs zu sein. Durch Impact-Messung sind die Auswirkungen touristischer Aktivitäten auf Umwelt und Menschen genau feststellbar. Nur belastbare Daten erlauben, fundierte Entscheidungen zu treffen, Ressourcen und Personal effizient einzusetzen und nachhaltige Strategien zu entwickeln – und damit auch Kosten zu sparen. 

Harald A. Friedl: Das ist richtig – theoretisch. Praktisch sind besonders kleinere Betriebe tief ins Tagesgeschäft verstrickt. Sie finden nicht mal Zeit für strategische Überlegungen. Auch fehlt vielen Unternehmen das nötige Know-how und auch das entsprechende Mindset. Großbetriebe hätten zwar das nötige Personal, richten sich aber als Kapitalgesellschaften nach den Interessen der Shareholder. Darum sind gesetzliche Rahmenbedingungen unverzichtbar, um notwendige Anpassungen zu erzwingen …

Kühhas: … und es geht nicht von heute auf morgen, um auf neue gesetzliche Vorgaben reagieren und entsprechende Prozesse im Unternehmen aufbauen zu können. Im Vorteil sind Unternehmen, die bereits in Vorausschau auf zukünftige Gesetze handeln. Abgesehen davon liegt ein nachhaltiger Umgang mit der Natur und deren Ressourcen sowie die Achtung der Menschenrechte im ureigenen Interesse der Tourismuswirtschaft, deren Produkte attraktive Natur- und Kulturlandschaften, reiche Biodiversität, zufriedene und motivierte Mitarbeiter*innen sowie Begegnungen von Menschen sind. 

© Harald A. Friedl
Die Folge von emissionsintensiven Produkten: die Pasterze, der Gletscher unter dem Großglockner - heute und einst ... © Harald A. Friedl

 

Friedl: Aus ethischer wie strategischer Perspektive zweifellos. Praktisch stecken wir alle tief im Mindset des permanenten Wohlstandswachstums bei praktisch unlimitierten Ressourcen. Der „Erfolg“ der industriellen Revolution beruhte wesentlich auf der Basis, der Natur billigst Ressourcen zu entziehen und im Gegenzug dort den Abfall – billigst – zu deponieren. Erst die Irritation der Tourist*innen durch Müllberge veranlasste zu Maßnahmen gegen wilde Müllablagerungen. Emissionen sieht man nicht unmittelbar, wie auch die meisten Sozial- und Umweltauswirkungen, die das Lieferkettengesetz umfasst. Das ermöglicht „Greenwashing“, indem Kund*innen das „Blaue vom Himmel“ gelogen wird …

Kühhas: Genau das verhindert Impact-Messung: Sie schafft Transparenz und Glaubwürdigkeit. Leichtfertige Behauptungen wie „nachhaltig“ oder „klimaneutral“ müssen mit Zahlen belegt werden. Das stärkt auch die Wettbewerbsfähigkeit von ehrlich nachhaltig engagierten Unternehmen.

Gewagte Behauptungen @ Harald Friedl
Gewagte Behauptungen ... © Harald A. Friedl

 

Friedl: Die andere Seite ist die Transparenz der Allgemeinheit in Sachen Einhaltung der Menschenrechte. Klingt großspurig, doch wenn klimaintensiv gelebt und gereist wird – auf Kosten der Lebenschancen von Menschen in tropischen Regionen – dann gilt kolonialistisches Denken: Ich mache, was ich will, weil Ihr Euch nicht wehren könnt. Das erinnert an die Südstaaten der USA vor 150 Jahren, die an ihrem „Recht“ auf Sklavenhaltung verbissen festhielten, weil sie persönlich davon profitierten – und die Rechte der schwarzen Menschen einfach ignorierten. 

Kühhas: Ja, bei Menschenrechten wird im Tourismus zumeist weggeschaut! Trotz engagierter Ausnahmen, wie im Fall der Mitglieder des „Roundtable Human Rights in Tourism“. Die bemühen sich ohne gesetzlichen Zwang seit über zehn Jahren um eine menschenrechtskonforme Angebotsgestaltung. Dafür stellt der Roundtable praktische Tools zur Verfügung, wie z.B. die „Destination Risk Map“ (https://www.humanrights-in-tourism.net/destination-risk-map).

Friedl: Mit dem Verzicht auf Transparenz im eigenen Unternehmen werden Energiefresser und andere Einsparungspotenziale weiterhin übersehen. Als sich die FH JOANNEUM in Bad Gleichenberg als erste Hochschule für das Umweltzeichen qualifizierte, entdeckten wir einen seit zehn Jahren wirkenden Fehler bei der Gasabrechnung, was uns eine sechsstellige Rückzahlung bescherte. Transparenz macht sich bezahlt!

Kühhas: Transparenz von unternehmerischem Handeln stärkt zudem das Vertrauen der Kund*innen und Partner*innen und kann Tourist*innen sensibilisieren, weil viele Aktivitäten und Dienstleistungen von der Hinterbühne des Tourismus nach außen sichtbar werden. 

Friedl: … vorausgesetzt, die Kund*innen interessiert das. Leider gilt für viele Menschen: „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß …“ – und sie verdrängen, um sich ein schlechtes Gewissen zu ersparen. Vor der Konfrontation mit den Wirren der Welt (Klima-, Ukraine-, Israel-, Pensionskrise, Plastikpest …) schützen sich manche Menschen durch Wurschtigkeit oder gar durch politische Radikalisierung, wonach ein „starker Mann“ diese Probleme „richten“ solle … Kurzfristig lindert dies das Gefühl der Überforderung.

© Harald A. Friedl
Wie Kund*innen bewerten, sagt wenig über die Produktionsweise aus. © Harald A. Friedl

 

Kühhas: Gerade im Urlaub will man keine negativen Dinge sehen. Andererseits sollte die Verantwortung nicht einfach auf Kund*innen abgeschoben werden. Nachhaltige Reiseangebote zu buchen erfordert derzeit aufgrund fehlender Transparenz aufwändige Recherchen. Meine Idealvorstellung wäre, nur Reiseangebote am Markt zuzulassen, die Mindestanforderungen an Umwelt- und Klimaschutz sowie die Achtung der Menschenrechte erfüllen …

Gesetze wie das Lieferkettengesetz schaffen gleiche Rahmenbedingungen für alle und damit einen fairen Wettbewerb. Bislang konnten Unternehmen, die bei Umweltstandards und Menschenrechten nicht so genau hingeschaut haben, billigere Produkte anbieten, profitierten somit von illegitimen Wettbewerbsvorteilen!

Friedl: Gesetze „zwingen“ alle Marktteilnehmer*innen zu gleichen Spielregeln. Jedoch weiß ich als Jurist auch um die begrenzte Wirksamkeit von Gesetzen. Das zeigt sich etwa bei steigenden Abfallgebühren, um zu konsequenter Mülltrennung zu „motivieren“. Tatsächlich sinkt das Müllaufkommen nur in den Gemeinden, dafür boomen wilde Müllablagerungen. Auch Debatten über geringere Höchstgeschwindigkeiten werden oft als „Eingriffe in die persönliche Freiheit“ empfunden. Mir erscheinen solche Reaktionen als Ausdruck einer wachsenden Angst vor Verlusten: an Wohlstand, an Freiheiten, an Möglichkeiten der Lustmaximierung. Angst verhindert den sensiblen Blick darauf, auf wessen Kosten diese „Freiheiten“ bestehen. Darum ist „Suffizienz“ das meist verleugnete Prinzip der Nachhaltigkeit, weil extrem unbeliebt …

Kühhas: … also braucht´s offensichtlich den gesetzlichen Zwang! International gibt es immer mehr Regulative und Gesetze für nachhaltiges Wirtschaften als Mittel zur Erreichung der Ziele der Agenda 2030. Wenn die EU hier ambitioniert vorgeht, kann sie Standards setzen und mitgestalten, und wird nicht von internationalen Gesetzesinitiativen getrieben. 

Friedl: Möge dies nach den nächsten EU-Wahlen noch möglich sein.
 

Weiterführende Informationen:

Nachlese zum "Afterwork im Reisebüro": IMPACT REPORTING: Was bedeutet „Wirkung“? Wie kann ich sie messen und darüber berichten? Mit CONSTANZE STOCKHAMMER (Social Entrepreneurship Network Austria), CHRISTOPH SCHWEIFER (goalkeepers – Beratung für zukunftsfähiges Wirtschaften) & HARALD A. FRIEDL (FH JOANNEUM Bad Gleichenberg). Zur Nachlese incl. Videomitschnitt ...

 

Die Gesprächspartner*innen:

Harald A. Friedl ist assoz. Professor für Nachhaltigkeit und Ethik im Tourismus am Institut für „Gesundheit und Tourismus Management“ an der FH JOANNEUM – University of Applied Sciences - in Bad Gleichenberg, Österreich. Der Jurist und promovierte Ethiker war international als Touristiker tätig. Seine aktuelle Forschung fokussiert auf interkulturelle Kommunikation und Förderung von Transition in Richtung Nachhaltigkeit und Digitalisierung, Technikfolgenabschätzung und auf gesundheitsförderliche, ethisch verträgliche Tourismusprodukte. Er ist Mitglied des Wissenschaftsbeirates des „Tourism Panel on Climate Change“ (TPCC). Kontakt: harald.friedl@fh-joanneum.at

Cornelia Kühhas studierte Landschaftsökologie und -gestaltung an der Universität für Bodenkultur in Wien. Sie leitet den Arbeitsbereich „RESPECT – Nachhaltige Tourismusentwicklung und Entwicklungszusammenarbeit“ bei der Naturfreunde Internationale. Kontakt: cornelia.kuehhas@respect.at

 


Erste Bestandsaufnahme zum Klimawandel im globalen Tourismus unter Mitwirkung der FH JOANNEUM

Von HARALD A. FRIEDL/fh joanneum bAD GLEICHENBERG

© Cornelia Kühhas
© Cornelia Kühhas

 

Klimawandel ist im Tourismus ein Lose-Lose-Thema: Touristiker*innen wollen es nicht, weil es Kosten, Komplikationen und düstere Perspektive suggeriert. Tourist*innen wollen es nicht, weil es nach Verzicht und Langeweile klingt. Politiker*innen wollen es nicht, weil es Wähler*innen zu klimaleugnenden Populist*innen vertreibt, und Tourismusforscher*innen wollen es nicht, weil es weniger Meriten als vielversprechende Marketing- und Wachstums-Strategien verspricht. Darum wird das Thema Klimawandel im Tourismus so behandelt wie dessen kleiner Bruder, der Fachkräftemangel: erst geleugnet, dann verdrängt – und wird der Schmerz dann unerträglich, wird nach Schuldigen gesucht …

Doch gibt es auch jene Tourismusforscher*innen, die durch konsequente Arbeit zu Aspekten des Klimawandels immer wieder bestürzende Erkenntnisse gewinnen, sich aber oft mit dem Argument konfrontiert sehen, nur „Ausreißer“ zu betrachten. Tatsächlich gab es bislang keine Forschung, die ein ganzheitliches Bild vom globalen Verhältnis zwischen Tourismus und Klimawandel vermitteln konnte, gleichsam die touristische Version des IPCC, des Intergovernmental Panel on Climate Change. Diese Forschungslücke wurde im Jahr 2022 durch die Gründung des TPCC geschlossen, des „Tourism Panel on Climate Change“. 

Österreichische Expert*innen im Team des TPCC

Das TPCC ist eine unabhängige, internationale Zusammenarbeit von mehr als 60 international führenden Tourismus- und Klimaexpert*innen aus über 30 Ländern. Aus Österreich kommen Forschungsbeiträge von Harald A. Friedl von der FH JOANNEUM in Bad Gleichenberg, Dagmar Lund-Durlacher vom Wiener Institut für nachhaltigen Tourismus und Robert Steiger von der Universität Innsbruck. 

Leah-Isabel Heuer und Harald Friedl vom Institut für Gesundheit und Tourismus Management der FH JOANNEUM  in Bad Gleichenberg als Mit-Autor*innen des Stocktake-Reports @FH JOANNEUM BAD GLEICHENBERG
Leah-Isabell Heuer und Harald A. Friedl vom Institut für Gesundheit und Tourismus-Management der FH JOANNEUM  in Bad Gleichenberg sind Mit-Autor*innen des TPCC Stocktake Reports ©FH JOANNEUM BAD GLEICHENBERG

 

 

Ziel des TPCC ist die Erfassung der Entwicklung des Klimawandels, dessen Auswirkungen auf das globale Tourismussystem sowie die Fortschritte der Tourismusbranche zur Emissionsminderung auf Basis vorhandener Studien und zusätzlicher Erhebungen. Diese evidenzbasierten Grundlagen in Gestalt eines „Stocktakes“ (Bestandsaufnahme) sollen Entscheidungsträger*innen im Tourismus dabei unterstützen, die Planung und Finanzierung einer kohlenstoffarmen und klimaresistenten globalen Tourismuswirtschaft zu beschleunigen. Damit versteht sich das TPCC als wichtiger Impulsgeber für die Erreichung der Klimaziele des UN-Abkommens von Paris 2015, wonach die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit beschränkt werden soll.

Der erste Bericht des TPCC wurde zeitgleich mit der UN-Klimakonferenz COP-28 im Dezember 2023 veröffentlicht. Darin wurden die Erkenntnisse zu 24 zentralen Aspekten der Zusammenhänge zwischen Klimawandel und globalem Tourismus zusammengefasst. So wächst der globale Tourismus – außer während der COVID-19-Störungen – schneller als die Weltwirtschaft, und damit auch die dabei verursachten Treibhausgasemissionen. Die Tendenz geht zu längeren und emissionsintensiveren Reisen. 

Entwicklung der touristischen Reisedistanzen in Mrd. Personen-km (TPCC, 2023b, S. 9)
Entwicklung der touristischen Reisedistanzen in Mrd. Personen-km (TPCC, 2023b, S. 9)

 

Emissionsreduktionsziele nicht erreichbar

Derzeit trägt Tourismus direkt und indirekt zu etwa acht bis zehn Prozent der weltweiten Emissionen bei. Dabei konzentrieren sich die Emissionen hauptsächlich auf Länder mit hohem Einkommen, und dies sowohl als Quellmärkte wie auch als Reiseziele. Der touristische Flugverkehr und der Kreuzfahrttourismus werden ihre Emissionsreduktionsziele für 2030 nicht erreichen. Dabei stellt der Flugverkehr, der 49 Prozent aller touristischen Emissionen verursacht, die größte Herausforderung im globalen Tourismus im Hinblick auf eine tiefgreifende Emissionsreduzierung dar.

Touristische Transportemissionen nach Transportmittel (TPCC, 2023b, S. 12).
Touristische Transportemissionen nach Transportmittel (TPCC, 2023b, S. 12).

 

Im Hotelbetrieb verbessert sich deren Treibhausgasintensität zumindest in einigen regionalen Märkten allmählich. Ohne eine Beschleunigung und Ausweitung dieser Prozesse auf globaler Ebene wird die Hotelbranche ihr Emissionsreduktionsziel für 2030 nicht erreichen können. Auch das Verbraucher*innenverhalten und das Tourismusmarketing müssen sich von deren Fokus auf emissionsintensivste Formen des Tourismus wegbewegen, um die Treibhausgasreduktionsziele zu erreichen.

Ski- und Strandtourismus langfristig nicht lebensfähig

Aufgrund dieser Entwicklungen ist aus Sicht des TPCC zu erwarten, dass derzeit besonders gefragte Formen des Tourismus, wie Skitourismus in niedrigen Lagen oder Strandtourismus an stark erosionsgefährdeten Küsten, aufgrund der sich beschleunigenden Klimagefahren und der begrenzten Anpassungsmaßnahmen längerfristig nicht lebensfähig sein werden. Zudem werden die zunehmenden Klimarisiken zu Einschränkungen des Tourismus insbesondere in vielen klimatisch anfälligen Ländern führen. Dies sind insbesondere Insel- und Küstendestinationen in tropischen und subtropischen Zonen, in denen Tourismus oft einen wesentlichen Teil der Wirtschaft ausmacht.

In einkommensschwachen Ländern überlagern sich Klima- und Tourismusrisiken mit vielen anderen Faktoren wie Armut und Verschuldung des öffentlichen Sektors, was klimaverträgliche Politikgestaltung und Klimafinanzierung erschwert, obwohl entsprechende Maßnahmen dort besonders dringlich wären. Die ungleiche Verteilung der touristischen Emissionen und der potenziellen Auswirkungen von Klimagefahren hat erhebliche Auswirkungen auf die Klimagerechtigkeit.

Änderungen bei der Berücksichtigung des Klimas in den nationalen europäischen Plänen zwischen 2019 (grau) und 2023 (blau) (TPCC, 2023b, S. 31)
Änderungen bei der Berücksichtigung des Klimas in den nationalen europäischen Plänen zwischen 2019 (grau) und 2023 (blau) (TPCC, 2023b, S. 31)

 

Tourismuspolitik muss auf Herausforderungen der Klimaerwärmung reagieren

Trotz dieser besorgniserregenden Entwicklungen ist die Herausforderung der Klimaerwärmung auf globaler wie nationaler Ebene noch kaum in die Tourismuspolitik integriert. Zwar nimmt die Zahl der Bekenntnisse zum Klimaschutz zu, die meisten nationalen Tourismuspolitiken oder -pläne berücksichtigen den Klimawandel jedoch nur in sehr begrenztem Ausmaß. Vielmehr investieren die Regierungen wie auch die internationale Entwicklungshilfe weiterhin in Tourismusinfrastrukturen, die klimaanfällig und mit hohen Treibhausgasemissionen verbunden sind, etwa in den Ausbau von Flugplätzen.

Kategorien der Auslandshilfe für Tourismusprojekte im Jahr 2022 (TPCC 2023, S. 35)
Kategorien der Auslandshilfe für Tourismusprojekte im Jahr 2022 (TPCC 2023, S. 35)

 

Eine positive Bilanz konnte lediglich im Bereich der Forschung erstellt werden, wonach die Forschungs- und Wissenschaftskapazitäten für evidenzbasierte Klimamaßnahmen im Tourismus in den letzten Jahren erheblich zugenommen haben. Dem gegenüber ist die Vermittlung von Klimakompetenz in der Branche wie auch in touristischen Bildungsprogrammen weltweit nach wie vor sehr begrenzt, wie eine Studie von Leah-Isabell Heuer und Harald A. Friedl von der FH JOANNEUM nachweisen konnten.

Insgesamt zeigen diese Ergebnisse, dass der gesamte Tourismussektor schnellere und weiterreichende Schritte setzen muss, um die touristischen Emissionen rasch zu reduzieren und eine klimaresiliente Tourismusentwicklung zu beschleunigen. Andernfalls werden in Zukunft die Einnahmen aus Tourismus von den Kosten der Klimaschäden überschritten …

Details zum TPCC sowie die Langfassung des TPCC Stocktakes finden sich auf https://tpcc.info/downloads/ 
Die Kurzfassung findet sich auf TPCC_Stocktake_2023_Key_Findings_for_Policymakers_For_distribution.pdf (ccca.ac.at).

 

Zum Autor:

Harald A. Friedl ist assoz. Professor für Nachhaltigkeit und Ethik im Tourismus am Institut für „Gesundheit und Tourismus Management“ an der FH JOANNEUM – University of Applied Sciences - in Bad Gleichenberg, Österreich. Der Jurist und promovierte Ethiker war international als Touristiker tätig. Seine aktuelle Forschung fokussiert auf interkulturelle Kommunikation und Förderung von Transition in Richtung Nachhaltigkeit und Digitalisierung, Technikfolgenabschätzung und auf gesundheitsförderliche, ethisch verträgliche Tourismusprodukte. Er ist Mitglied des Wissenschaftsbeirates des „Tourism Panel on Climate Change“ (TPCC). Kontakt: harald.friedl@fh-joanneum.at


 


Tourism Impact Alliance: Den positiven Impact des Tourismus stärken

Gespräch mit MARCO GIRALDO, Managing Partner bei TourCert

Marco Giraldo © TourCert
Marco Giraldo, Managing Partner bei Tour Cert © TourCert


“Measuring sustainability. Inspiring change!” Das ist das Leitmotiv der „Tourism Impact Alliance“, die es sich zum Ziel gesetzt hat, einheitliche Methoden zur Messung der Wirkung von Nachhaltigkeitsaktivitäten zu entwickeln, um global nachhaltige Tourismuspraktiken zu fördern. Darüber hinaus unterstützt sie den Aufbau und die Weiterentwicklung qualitativ hochwertiger und effektiver Systeme zur Wirkungsüberprüfung (Auditsysteme). Benutzerfreundliche und effiziente Online-Tools erleichtern die Prozesse. Im Fokus steht das Konzept der Partnerschaft – auch zwischen Zertifizierungsorganisationen. Das internationale Projekt wird von TourCert durchgeführt und vom Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft SECO mitfinanziert.
 
Wir haben MARCO GIRALDO, Managing Partner bei TourCert, zu den Zielen, Hintergründen und zur Entwicklung des Projektes gefragt: 
 
Marco, was ist eure Vision? Was soll die Tourism Impact Alliance bewirken?

Unsere Vision für die Tourism Impact Alliance ist es, Standards für die Wirkungsmessung und -überprüfung zu schaffen (measuring sustainability) und dadurch die Tourismuslandschaft positiv zu verändern (inspiring change). Durch die Erhöhung der Glaubwürdigkeit von Zertifizierungen mittels strenger Qualitätssicherung und effizienter Prüfverfahren wollen wir das Vertrauen der Verbraucher*innen stärken. 

Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Förderung der Zusammenarbeit zwischen Zertifizierungsstellen und Standardinhabern. Durch die Integration von Digitalisierung, Innovation und kooperativem Denken schaffen wir eine Plattform, die Synergien nutzt und gemeinsame Ziele verfolgt. Unser Ziel ist es, den Markteinfluss zu maximieren, das Bewusstsein für nachhaltigen Tourismus zu schärfen und die Sichtbarkeit nachhaltiger Tourismusangebote zu erhöhen. So möchten wir einen signifikanten Beitrag zur Entwicklung eines verantwortungsbewussteren und nachhaltigeren Tourismus leisten.

Tourism Impact Alliance
Tourism Impact Alliance 

 

Warum sind gerade die Impact-Messung und Indikatoren so wichtig für eine globale nachhaltige Tourismusentwicklung?

Impact-Messung und Indikatoren spielen eine zentrale Rolle in der globalen nachhaltigen Tourismusentwicklung, da sie den Fortschritt und die Wirksamkeit nachhaltiger Maßnahmen objektiv bewerten. Diese Messungen liefern evidenzbasierte Informationen, die entscheidend sind, um den aktuellen Stand der Entwicklung zu verstehen und zu beurteilen, ob stärkere politische Maßnahmen erforderlich sind.

Durch die Bereitstellung klarer und nachvollziehbarer Daten schaffen sie ein gemeinsames Verständnis der bestehenden Herausforderungen und fördern die Verantwortlichkeit aller Beteiligten. Zudem unterstützen sie die Entwicklung wirksamer politischer Antworten, die auf konkreten Fakten basieren. Letztendlich tragen diese Messungen dazu bei, eine nachhaltigere und wettbewerbsfähigere Tourismusbranche zu fördern, die den Bedürfnissen der heutigen Generation gerecht wird, ohne die Möglichkeiten zukünftiger Generationen zu gefährden.

Zunehmend werden strengere Mess- und Überprüfungssysteme auch von politischer Seite gefordert. Die EU beispielsweise strebt im Rahmen ihrer rechtlichen Bestrebungen durch die „Green Claims“-Richtlinie an, Greenwashing weiter einzudämmen. Unternehmen oder Destinationen müssen hinter umweltbezogenen Werbeaussagen echte, messbare Bemühungen sowie entsprechend valide Nachweise vorlegen.

Zu Beginn habt ihr das Impact Panel gegründet, das als Think Tank konkrete Kernindikatoren identifizieren, methodische Rahmen entwickeln und die Machbarkeit und Integration in Zertifizierungsprozesse untersuchen sollte. Die Ergebnisse sind in ein Konzeptpapier geflossen. In einem ersten Schritt wurden drei Kernkriterien (Key Performance Indicators, KPI) identifiziert: Diese umfassen die CO2-Emissionen pro Gast und Tag, den Anteil geschützter Gebiete und den Anteil von Frauen in Managementpositionen. Warum wurden nur drei Kriterien ausgewählt? Und warum gerade diese?
 
Zum Start hat das Impact Panel bewusst nur diese drei Key Performance Indicators (KPI) ausgewählt, um den Fokus auf die wichtigsten und derzeit am besten messbaren Aspekte der Nachhaltigkeit zu legen. Diese Indikatoren wurden gezielt gewählt, da sie zentrale ökologische und soziale Herausforderungen adressieren: den Klimawandel, den Erhalt der Biodiversität und die Förderung der Geschlechtergleichstellung. Durch die Konzentration auf diese drei Bereiche bietet das Panel eine solide Grundlage für die Bewertung und Verbesserung nachhaltiger Praktiken im Tourismus.

Nachdem diese Kernkriterien erfolgreich getestet und in die Zertifizierungsprozesse integriert wurden, plant das Panel, zusätzliche Indikatoren einzuführen. Diese neuen KPIs sollen weitere wichtige Aspekte der Nachhaltigkeit abdecken, um eine umfassendere Bewertung und Verbesserung der Nachhaltigkeitspraktiken im Tourismus zu ermöglichen. Die kontinuierliche Erweiterung der KPIs stellt sicher, dass alle relevanten Nachhaltigkeitsdimensionen berücksichtigt werden und der Tourismus langfristig nachhaltiger und verantwortungsvoller wird.

Ihr setzt auf Kooperationen und die Stärke der Gemeinschaft. Wie können die unterschiedlichen Stakeholder – Destinationen, Zertifizierungsorganisationen, Tourismusbetriebe – als Mitglieder der Allianz profitieren? 

Destinationen, Zertifizierungsorganisationen und Tourismusbetriebe profitieren auf vielfältige Weise als Mitglieder der Allianz:
Destinationen können ihre Nachhaltigkeitsleistung präzise messen und verbessern, was ihre Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit steigert. Durch die Nutzung der entwickelten Online-Tools, wie dem Impact Cockpit, können sie ihre Nachhaltigkeitsleistungen effektiv verwalten und messen. Dies führt zu fundierten Entscheidungen und einer besseren Positionierung im Markt.

Zertifizierungsorganisationen profitieren von standardisierten Indikatoren und Methoden, die ihre Prozesse effizienter und glaubwürdiger machen. Diese Standardisierung trägt zur Erhöhung der Qualität und Unparteilichkeit der Prüfverfahren bei. Dahinter steckt das „Tourism Audit Office“, das im Rahmen des Projektes aufgebaut wurde. Das unabhängige Audit Office bietet Zertifizierungsorganisationen einen bewältigbaren Weg zu qualitativ hochwertigen und akkreditierten Zertifizierungen und setzt dabei auf globale Zusammenarbeit. 

Tourismusbetriebe nutzen gemeinsame Indikatoren und digitale Tools, um ihre Nachhaltigkeitsbemühungen nachzuweisen und kontinuierlich zu verbessern. Dies stärkt ihre Marktposition und hilft ihnen, den wachsenden Erwartungen der Verbraucher*innen gerecht zu werden. 

Insgesamt trägt die Allianz dazu bei, dass alle Mitglieder durch einheitliche Standards und innovative Tools ihre Nachhaltigkeitsziele effizienter erreichen und ihre Marktchancen verbessern können.

Mehr Informationen über die Tourism Impact Alliance finden Sie hier:

https://tourcert.org/projects/tourism-impact-alliance/
 


 

Welchen Impact schaffen internationale Konferenzen und Förderprojekte?

Ein kritischer Essay von HARALD A. FRIEDL/FH JOANNEUM Bad Gleichenberg

© Harald A. Friedl
Dr. Eva Adamer-König eröffnet die ATLAS Conference 2023 in Bad Gleichenberg © Harald A. Friedl


 

Hehre Erwartungen an Konferenzen …

Ich erinnere mich gut an meine erste große internationale Konferenz zu Beginn meiner akademischen Karriere: der Kongress der Internationalen Gesellschaft für Soziologie in Durban vor rund 20 Jahren. Begeistert lauschte ich damals allen nur erdenklichen Vorträgen zu Themen wie Tourismussoziologie, Umweltsoziologie, Systemtheorie und vieles mehr. Doch meine Begeisterung schwand zunehmend in dem Maß, in dem ich feststellen musste, dass all diese Expert*innen wenig voneinander zu wissen schienen. Oft nur eine Pappwand voneinander getrennt, schienen diese Expert*innen in völlig verschiedenen Sphären zu schweben. War es nicht der Zweck von solchen Konferenzen, gemeinsam möglichst viel voneinander zu lernen, um sich in einem gemeinsamen wissenschaftlichen Verständnishorizont anzunähern? 

Wie naiv war ich damals. Heute, unzählige Konferenzen später – als Beiträger und zunehmend auch als Keynote-Speaker sowie als Mitorganisator der Jahreskonferenz von ATLAS 2023 in Bad Gleichenberg – sehe ich Konferenzen in einem völlig anderen Licht. Zum einen sind Konferenzen Teil der Eventwirtschaft. Sie müssen darum möglichst spannend klingen, mit eindrucksvollen Stars als Hauptsprecher*innen locken und möglichst vielen Teilnehmer*innen die Chance zu Auftritten und Publikationen bieten, die für die persönliche Karriere benötigt werden. Dieser technische Aspekt ist freilich nur die eine Seite, die Konferenzen als Daily-Business erscheinen lassen, das mehr ökologische und manche ökonomischen Impacts zu verursachen scheint als intellektuelle. 

Begegnung als Bedingung allen Lernens

Viel mehr als das sind Konferenzen Orte der Begegnung, in denen Kontakte zwischen Angehörigen unterschiedlicher Institute, Disziplinen und Länder geknüpft werden, die das Potenzial zum Brückenschlagen eröffnen. So nahm an jener ATLAS-Konferenz in Bad Gleichenberg auch ein Tourismusforscher aus Israel teil, als der Überfall der HAMAS auf Israel stattfand. Nach dem offiziellen Ende der Konferenz hatte ich die Ehre, mit jenem Kollegen, einem einstigen Friedensaktivisten für palästinensische Rechte, ein langes Gespräch über seine Betroffenheit von diesem Überfall führen zu dürfen. Seine Antwort endete mit dem Hinweis, dass er in ein anderes Israel zurückkehre als jenes, aus dem er angereist sei: Er reise heim zu den Begräbnissen seiner Freunde …

Es sind die persönlichen Gespräche, die sich nach Vorträgen, in den Pausen oder während der „Social Dinners“ ergeben, aus denen sich Kooperationen entwickeln können, gemeinsame Forschungsprojekte oder weiterreichende gemeinsame Aktivitäten. Die Betonung liegt auf „gemeinsam“ als zentrales, verbindendes Element in einer Welt, in der die Töne der Polarisierung und Zerrüttung immer lauter werden. Gemeinsamkeit kann nicht verordnet werden. Sie ist Resultat der Bereitschaft von Menschen, eine Chance – wie jene einer Konferenz – wahrzunehmen und durch persönliches Engagement zu etwas Verbindendem weiterzuspinnen. Eine flüchtige Chance freilich, die sich nur für wenige Tage öffnet.

© Harald A. Friedl
Persönliche Treffen nach offiziellen Workshops © Harald A. Friedl

 

Wieviel bleibt von teuren Projekten?

Über viele Monate oder sogar Jahre hinweg laufen hingegen internationale Förderprojekte, wie sie die EU in Gestalt der ERASMUS+-Förderschiene unterstützt. An meinem ersten Projekt mit dem klingenden Namen „QualiTour“ zur Förderung von Nachhaltigkeitskompetenzen in der Tourismusbranche hatte ich vor über zehn Jahren teilgenommen. Die Projektpartner*innen stammten aus Portugal, Bulgarien, Italien und Österreich. Damals wunderte ich mich über die Unzuverlässigkeit bei der Einhaltung von Deadlines und der Ausarbeitung von Dokumenten. Das zentrale Ergebnis des Projekts, ein Online-Kurs für praktische Touristiker*innen, ist im Internet nicht mehr auffindbar. War das die Fördersummen und die Zeit wert?

Seither war ich Partner zahlreicher ERASMUS+-Projekte mit Partner*innen aus Balkanstaaten und zunehmend aus Südostasien. Das hat mich stark geprägt, mich in persönlicher Hinsicht verändert: Professioneller Wissens- und Kompetenzerwerb sowie hochwertige Leistung sind mir immer noch wichtig, doch viel wichtiger wurde mir die Beziehungsebene.

Brückenköpfe fürs Leben

Eben hat mein Team von der FH JOANNEUM das Projekt „CesTour“ erfolgreich abgeschlossen. Dessen Ziel war, Kompetenzzentren für nachhaltige Tourismusentwicklung in den Partnerregionen Nepal, Indien und Sri Lanka aufzubauen, deren touristisches Wirtschaftswachstum zu unterstützen und die Beziehungen zwischen Universitäten und Unternehmen in diesen Regionen zu stärken. Durch den Start im Jahre 2 von Covid war das Zusammenwachsen der Teams anfänglich erschwert. Im Lauf der 36 Monate und einiger persönlicher Meetings entwickelten wir zueinander tiefe Freundschaften, verbunden mit einem ausgeprägten Verständnis für die jeweiligen politischen, kulturellen und sozialen Lebensbedingungen und damit verbundenen Herausforderungen unserer Projekt-Partner*innen. Wir haben Brücken geschlagen. 

Sicher werden diese Beziehungen ohne weitere Kontakte mit der Zeit brüchig wie alle Brücken, die man nicht konsequent wartet. Doch bleiben die guten, verbindenden Erlebnisse in der Erinnerung tief verankerte Brückenköpfe, die eine Chance darstellen, als Bollwerke gegen die Verbreitung von Hass und Hetze zwischen Menschen unterschiedlicher Länder und Kulturen zu wirken. Zudem ergeben sich wiederholt neue Möglichkeiten, diese Brücken zu warten, mit neuem „Beton“ zu unterfüttern: Beiträge zu gemeinsamen Publikationen, Online-Vorträge in Lehrveranstaltungen der Partner-Universitäten oder neuerliche Begegnungen in Konferenzen: Hier schließt sich der Kreis. 

Das Erasmus-Prinzip 

Dem europäischem Förderprogramm gab der niederländische Universalgelehrte Erasmus von Rotterdam (1466–1536) seinen Namen. Der kritische Theologe und Philosoph gilt als einer der wichtigsten Vertreter des europäischen Humanismus und als Wegbereiter der europäischen Aufklärung. Er betonte stets die überragende Bedeutung von Bildung auch im Sinne der Entwicklung des individuellen Geistes und der Vernunft. Vor allem plädierte Erasmus für Offenheit gegenüber anderen Kulturen und Denkweisen. Besonders betonte er den hohen Wert kultureller Vielfalt sowie die Rolle der Toleranz als Schlüssel zum Verständnis anderer Denk- und Lebensweisen. Demgegenüber kritisierte Erasmus ethnozentrische Haltungen, die wiederum nur durch vernunftbasierte Bildung überwunden werden können. 

Erasmus von Rotterdam
Namensgeber der EU-Projekte: Erasmus von Rotterdam

 

In eben dieser Tradition stehen die ERASMUS-Projekte: durch internationale Erfahrungen mit unterschiedlichen Lebens- und Denkweisen globale Perspektiven zu entwickeln und so die überholte Überzeugung von der Rolle Europas als „Nabel der Welt“ zu überwinden und mit den „anderen“ konstruktiv und friedlich zusammenzuarbeiten. 
Angesichts des Kriegs in der Ukraine und in Gaza ein bedeutender Impact!

Weiterführende Informationen:

Projektbeschreibung des ERASMUS+-Projekts CesTour: https://www.fh-joanneum.at/projekt/cestour/ 

Video des Vulkanland-TV über die Eröffnung der ATLAS Annual Conference 2023 in Bad Gleichenberg: https://www.facebook.com/vulkantv.at/videos/858569215993907/

Website der ATLAS Conference 2023: https://atlas-euro.org/2023-10-bad-gleichenberg/ 

 



Vermittlung von Nachhaltigkeitskompetenzen an Österreichs Tourismusschulen: eine Bestandserhebung von Harald A. Friedl & Jürgen Kürner

Von HARALD A. FRIEDL, FH JOANNEUM Bad Gleichenberg

Schulworkshop © NFI
© NFI

 

Die Tourismusbranche steht aufgrund wirtschaftlicher, ökologischer und sozialer und gesetzlicher Veränderungen vor großen Herausforderungen. Dazu zählen der Fachkräftemangel, hohe Inflation, steigende Energiekosten, Digitalisierung und der Klimawandel, aber auch neue gesetzliche Verpflichtungen wie jene zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. Um darauf adäquat reagieren und längerfristig wirkende Anpassungsschritte setzen zu können, bedarf es neuer beruflicher Qualifikationen, die sich unter dem Begriff der „Nachhaltigkeitskompetenz“ zusammenfassen lassen. Darunter fallen u.a. Kenntnisse im Bereich der Impact-Messung und des Ressourcenmanagements, der Abfallprävention im Küchenbereich, der Klimaanpassung, aber auch der betrieblichen Gesundheitsprävention, um Mitarbeiter*innen „anlocken“ und halten zu können. Zukünftige Touristiker*innen auf diese Aufgaben vorzubereiten, wäre somit eine Aufgabe der österreichischen Tourismusschulen. 

In der Vergangenheit lag der Lehrschwerpunkt der Tourismusausbildung in Österreich auf der Praxis des Gastgewerbes und weniger im Bereich des strategischen Denkens und der Nachhaltigkeit. Seit 2015 ist jedoch die Aufnahme von Inhalten wie Nachhaltigkeit, Geschlechtervielfalt, wirtschaftliche Effizienz und Regionalität in den Lehrplan gesetzlich vorgeschrieben. In welchem Ausmaß diese Aspekte der Nachhaltigkeit bereits effektiv in der Lehrpraxis der Tourismusschulen verankert sind, untersuchten Harald A. Friedl von der FH JOANNEUM und Jürgen Kürner, Direktor der Tourismusschule Semmering und Sprecher der Österreichischen Tourismusschulen, im vergangenen Jahr. 

© Anna Kodek
Schüler*innen in einem Workshop zum Thema Nachhaltigkeit & Tourismus © Anna Kodek

 

Zu wenig Ressourcen für vertiefende Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeit

Dazu wurde eine Umfrage mit 14 Fragen unter den 24 in Österreich tätigen Tourismusschulen durchgeführt, bei einer Rücklaufquote von 88 %. In den Antworten bewerteten rund 70 % der Schulen die Auseinandersetzung mit dem Thema Nachhaltigkeit als „etwas zu wenig“, 30 % sogar als „deutlich zu wenig“. Dabei hätten die Schüler*innen der befragten Schulen großes Interesse an Nachhaltigkeitsthemen gezeigt. Dennoch würden nur wenige Schulen über zusätzliche Ressourcen für das Thema Nachhaltigkeit verfügen, was einer vertiefenden Auseinandersetzung mit dem Thema im Wege stünde. 

Umfrage Nachhaltigkeit an Tourismusschulen
Intensität der Auseinandersetzung der Schüler*innen mit dem Thema Nachhaltigkeit

 

Nachhaltigkeit als einen schulweiten Schwerpunkt eingeführt hatten nur einzelne Schulen: zwei Tourismusschulen sind mit dem Österreichischen Umweltzeichen ausgezeichnet, eine Schule ist ökolog-zertifiziert, drei weitere Schulen verfügen über kleinere Auszeichnungen wie den „Silber Partner“ der BIO Austria für biologische Schulverpflegung oder den „Food-Waste-Hero“ für die Teilnahme an einer Online-Fortbildung zum Thema Lebensmittelabfall und Abfallvermeidung. Sechs Schulen gaben an, zusätzliche Qualifizierungsmaßnahmen für ihre Schüler*innen anzubieten, zumeist mit dem Fokus auf nachhaltiger Ernährung, vereinzelt auch im Bereich Energiemanagement und individuelle Resilienz. Nur an drei Schulen wurden keine zusätzlichen Aktivitäten gesetzt.

Die Ergebnisse zeigen, dass Nachhaltigkeit mittlerweile als relevantes Thema im Lehrplan angekommen sei und dabei der Bedarf an Verbesserungen überwiegend erkannt werde. Die überwiegende Zahl der Tourismusschulen steht jedoch noch eher am Anfang der Auseinandersetzung mit dem komplexen Thema der Nachhaltigkeit. Klimakompetenz wird hingegen bislang nur in Ausnahmefällen in Ansätzen vermittelt. 

Interesse von Achüler*innen an Nachhaltigkeit
Interesse der Schüler*innen an Nachhaltigkeit

 

Lösungsansätze für bessere Vermittlung von Nachhaltigkeit

Um diese Defizite auszugleichen, bedürfe es nach Angaben der Befragten zusätzlicher Unterrichtseinheiten und sowie Fortbildungen für Lehrpersonal. Zudem müssen sich auch die Schulleitungen klar zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz bekennen und eine entsprechende Neuausrichtung des Unterrichtsfokus aktiv fördern. Ohne zusätzliche Unterstützung seitens der Behörden wird es jedoch nicht gelingen, die Schüler*innen auf die sich zukünftigen Anforderungen der Tourismusbranche vorzubereiten.

Eine unterstützende Fortbildung für Lehrkräfte wird seit dem Wintersemester 2023 an der Pädagogischen Hochschule der Steiermark angeboten: der Hochschullehrgang für „Nachhaltigkeitskoordinator*innen an Schulen“, der u.a. von der FH JOANNEUM und der TU Graz mitentwickelt wurde, und an dem auch der Autor in den Bereichen Strategieentwicklung und Konfliktmanagement unterrichtet. 

Weiterführende Informationen:

Tourismusschule Semmering, engagiert für Nachhaltigkeit, mit Direktor und Studien-Co-Autor Jürgen Kürner: https://www.hltsemmering.ac.at/2022/vorzeige-tourismusschulen-semmering-ganz-im-zeichen-der-nachhaltigkeit/85349/ 

Hochschullehrgang „Nachhaltigkeitskoordinator*innen an Schulen“: https://www.phst.at/fortbildung-beratung/weiterbildung/hochschullehrgaenge/nachhaltigkeitskoordinatorin-an-schulen/ 

Bad Leonfelder Tourismusschulen mit „Österreichischen Umweltzeichen“ ausgezeichnet: https://www.baletour.at/w/wir-sind-umweltzeichen/ 

Österreichisches Umweltzeichen für Schulen: https://www.umweltzeichen.at/de/bildung/schulen