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Afterwork im Reisebüro (© Cornelia Kühhas)
Afterwork im Reisebüro (© Cornelia Kühhas)

Afterwork im Reisebüro: Nachhaltiges Wirtschaftswachstum im Tourismus

respect_NFI | Naturfreunde Internationale, das Österreichische Umweltzeichen und der Fachverband der Reisebüros luden im November 2022 zum hybriden Afterwork ins Büro von Enjoy Reisen zum Thema

Nachhaltiges Wirtschaftswachstum im Tourismus – Das Globale Nachhaltigkeitsziel Nr. 8 aus dem Blickwinkel der Reisebüros

SDG 8

Bei den Afterworks im Reisebüro widmen wir uns nun seit zwei Jahren den unterschiedlichsten Zugängen und Bereichen der Nachhaltigkeit. Zahlreiche Unternehmer*innen haben mit uns über ihre tägliche Arbeit und die Umsetzung nachhaltiger Prinzipien in der Praxis gesprochen. Das Thema Wertschätzung war dabei immer zentral – gegenüber Partner*innen, Lieferanten und Kund*innen.

Doch ein Aspekt kam in den zahlreichen Gesprächen immer wieder auf: Einerseits sollen KMU als wichtige Partner zur Erreichung der Globalen Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals SDGs) gefördert werden, andererseits scheinen die Rahmenbedingungen für Reisebüros dafür nicht gerade ideal zu sein. Obwohl die meisten ihren Job lieben, fühlen viele, dass die Wertschätzung ihrer Arbeit gegenüber immer mehr auf der Strecke bleibt. Sie fühlen sich aufgerieben zwischen fordernden Kund*innen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die durch große Herausforderungen (Stichwort: Pandemie, Fachkräftemangel) in den letzten Jahren auf dem Prüfstand stehen. Auch die schon lange im Raum stehende Forderung nach einer Beratungsgebühr ist wieder im Gespräch.

Doch wo liegt hier die Verantwortung? Ist nachhaltiges Wachstum im Sinne des Globalen Nachhaltigkeitsziels Nummer 8 eine rein unternehmerische Entscheidung, oder braucht es Vorgaben bzw. eine branchenweite Bewegung/Einigung? Zentrale Schlagworte sind hier: minimale Provisionen und Margen auf die vermittelten Leistungen, Beratungsdiebstahl, Uneinigkeit in der Branche über eine Beratungsgebühr.

Deshalb stellten wir bei diesem Afterwork folgende brisante Fragen:

  • Wo beginnt die Nachhaltigkeit?
  • Ist nachhaltiges Wirtschaften die alleinige Entscheidung der Unternehmer*innen?
  • Wie können Reisebüros zur Erreichung des Globalen Nachhaltigkeitsziels 8 beitragen und letztendlich davon profitieren?
  • Ist eine Beratungsgebühr im Sinne eines nachhaltigen Wachstums unerlässlich?
  • Warum sollen sich junge Menschen der Generation „Fridays for Future“ für die Arbeit im Reisebüro interessieren und was fordern sie von der Branche?

Wir sprachen mit RICHARD SENFT (enjoy reisen, Wir sind Reisen), GREGOR KADANKA (Mondial, WKO), HARALD HAFNER (Travel Industry Club), FRANZ ZIEGER (Naturfreunde Österreich Reisebüro), GÜNTER MOSER (Berufsschule für Handel und Reisen, Wien).

Afterwork im Reisebüro
Afterwork im Reisebüro (Foto: Cornelia Kühhas)

 

Das Globale Ziel Nr. 8 und seine Bedeutung für den Tourismus

Laut der Welttourismusorganisation der Vereinten Nationen (UNWTO) kann der Tourismus zur Erreichung des globalen Nachhaltigkeitsziels (SDG) Nummer 8 folgenden Beitrag leisten: "Tourismus ist ein Motor für globales Wirtschaftswachstum; 2019 entfiel jeder 10. Arbeitsplatz weltweit auf die Branche. Durch den Zugang zu menschenwürdigen Arbeitsmöglichkeiten in der Tourismusbranche kann die Gesellschaft - und können insbesondere junge Menschen und Frauen - von einer besseren Ausbildung und von beruflicher Entwicklung profitieren“. Im Unterziel 8.9 wird der Beitrag der Branche zur Schaffung von Arbeitsplätzen gewürdigt und gefordert: „... bis 2030 Maßnahmen zur Förderung des nachhaltigen Tourismus ausarbeiten und umsetzen, der Arbeitsplätze schafft und lokale Kultur und Produkte fördert."

In Unterziel 8.3 wird gefordert, entwicklungsorientierte Politiken zu fördern, die produktive Tätigkeiten, die Schaffung menschenwürdiger Arbeitsplätze, Unternehmertum, Kreativität und Innovation unterstützen und die Formalisierung und das Wachstum von Kleinst-, Klein- und Mittelunternehmen unter anderem durch den Zugang zu Finanzdienstleistungen begünstigen.“ (Quelle: https://www.bmaw.gv.at/Themen/Tourismus/tourismus-sdg.html)

Aus der Perspektive der Entwicklungszusammenarbeit und als Nichtregierungsorganisation liegt es nahe, bei Betrachtung der SDGs den Blick in den globalen Süden zu richten. Dort ist die Notwendigkeit menschenwürdiger Arbeit, ebenso wie viele andere Themen, für uns Mitteleuropäer*innen deutlich sichtbar. Zudem ist es auch durchaus nicht unangenehm, sich in der Illusion hinzugeben, die in den SDGs adressierten Probleme wären hauptsächlich weit weg zu finden. Tatsächlich ist es aber in den letzten Jahren durchaus so gewesen, dass sich die Rahmenbedingungen für die Arbeit im Reisebüro drastisch verändert haben und die Konsequenzen in der Branche schmerzhaft spürbar sind. Zu viel schlecht bzw. nicht bezahlte Arbeit wird geleistet und so manche*r Unternehmer*in klagt über untragbare Zustände.

Herausforderungen für die Reisebürobranche

Gregor Kadanka räumt sowohl in seiner Rolle als Spatensprecher bei der WKO als auch als Unternehmer ein, dass die letzten Jahre zahlreiche Veränderungen gebracht haben, die weder vorhersehbar waren, noch rasch oder durch Eigeninitiative gelöst werden können. Das liegt vor allem in der Veränderung der Prozesse bei der Zusammenstellung und Buchung von Reisen, die um ein Vielfaches komplizierter und komplexer geworden sind.

Afterwork im Reisebüro
Richard Senft und Gregor Kadanka im Gespräch mit Kerstin Dohnal  (Foto: Cornelia Kühhas)

Das bestätigt auch Richard Senft, Inhaber von enjoy reisen und Präsident der Initiative „Wir sind Reisen“. Er spricht von „Sand im Getriebe“ und einem Mehraufwand von 100 Prozent, auf dem die Reisebüros quasi sitzen bleiben. Auch wenn diese Belastungen fairerweise natürlich nicht 1:1 an die Kund*innen weitergegeben werden können, würde eine Beratungsgebühr zumindest einen Teil der Mehrleistungen abdecken und auch Bewusstsein für die erbrachten Leistungen und deren Wert bei den Kund*innen schaffen. „Unsere Expertise sollte etwas kosten. In anderen Branchen sind Beratungs- und Servicegebühren auch üblich.“

Er selbst hat sich mit enjoy reisen noch nicht drübergetraut, weil es durchaus das Risiko birgt, Kund*innen zu verlieren – und das kann und will man sich in Krisenzeiten wie diesen nicht leisten. Die Schweizer Kolleg*innen sind hier einen Schritt voraus, da ist es bereits üblich und akzeptiert ist, für Beratung im Reisebüro zu bezahlen.

Franz Zieger vom Reisebüro der Naturfreunde Österreich sieht hier eine Stärke in der Nische. Das Reisebüro der Naturfreunde orientiert sich zum einen hauptsächlich an den Bedürfnissen der Mitglieder und bedient zum anderen eine Nische, die kaum ein anderes Reisebüro bedienen kann. Seine Kund*innen sind sich der gebotenen Leistungen durchaus bewusst bzw. lassen sich entsprechend aufklären, welche Leistungen die Beratungsgebühr beinhaltet und schätzen diese Leistungen auch sehr. Zudem schützt die Nische auch vor dem gefürchteten Beratungsdiebstahl, also dass die Kund*innen im Reisebüro Informationen einholen, dann aber selbst im Internet buchen.

Afterwork im Reisebüro
Franz Zieger und Richard Senft mit Moderatorin Kerstin Dohnal
(Foto: Cornelia Kühhas)

„Beratungsgebühren sind ein Thema, mit dem sich die Reisebranche auseinandersetzen sollte und muss“, sagt Gregror Kadanka. Bei der WKO arbeitet man schon seit geraumer Zeit an unterschiedlichen Modellen einer Beratungsgebühr. Letztendlich sei die Einhebung einer solchen aber eine unternehmerische Entscheidung, so Gregor Kadanka.
 
Insgesamt sollte man auch das bisherige Geschäftsmodell des klassischen Reisebüros in Frage stellen. Ein rein auf Provisionen basiertes Modell scheint nicht mehr zeitgemäß, da sind sich alle Gäste einig. Im Vergleich mit dem Einzelhandel, wo beispielsweise bei Kleidung 59 % des Gesamtpreises beim Handel verbleiben, schneidet der Tourismus mehr als schlecht ab. Natürlich hält ein direkter Vergleich den Unterschieden in Produktionskosten und Absatzmengen nicht stand, doch das Verteilungsprinzip an sich ist bei Margen von durchschnittlich 12 % kritisch zu betrachten.

Auch das Image von Reisebüros als zeitgemäßer Arbeitsplatz mit besonderen Anreizen hat Verbesserungspotenzial. Günter Moser, Direktor der Berufsschule für Handel und Reisen unterstreicht die unzähligen Entwicklungsmöglichkeiten nach der Lehre und berichtet von zahlreichen Absolvent*innen, die ihre internationale Karriere – etwa als Hoteldirektor, Airline- oder Destinationsmanager*in bzw. in Führungspositionen bei namhaften Reiseveranstaltern – auf einer Reisebürolehre aufgebaut haben. „Der Lehrberuf Reisebüroassistent bzw. Reisebüroassistentin wurde vor kurzem umfangreich überarbeitet. Die jungen Menschen erwartet also ein moderner zeitgemäßer Unterricht, der sich inhaltlich an den aktuellen Anforderungen orientiert und auch Schwerpunkten wie Digitalisierung, Nachhaltigkeit im Tourismus und Social Media ausreichend Raum bietet“, so Moser in einer Presseaussendung vom Oktober 2022. Die besonders attraktiven „Benefits“ der Branche wie z.B. Informationsreisen und FAM-Trips für Mitarbeiter*innen müssten allerdings auch von den Arbeitgeber*innen unterstützt werden, beispielsweise dadurch, dass keine Urlaubstage dafür abgezogen werden. Richard Senft ist überzeigt, dass die Unternehmen letztendlich mindestens ebenso davon profitieren wie die Mitarbeiter*innen, weil man viel besser verkaufen kann, was man selbst kennt.

Afterwork im Reisebüro
Günter Moser, Franz Zieger und Kerstin Dohnal (Foto: Cornelia Kühhas)

„Unser Ziel ist natürlich, dass in Zukunft noch mehr Reiseunternehmen Lehrlinge ausbilden und das Interesse von jungen Menschen an einer Lehre in der Reisebürobranche anhält bzw. weiter steigt“, betonen Kadanka und Moser gemeinsam. (Quelle: https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20221007_OTS0118/reisebueros-verzeichnen-merkbar-gestiegenes-interesse-an-lehre-im-reisebuero)

Die Ansprüche der Generation Z in puncto Arbeitsplatz mit Sinn, besonderen Benefits und Work-Life-Balance sind hoch. Günter Moser: „Und es gibt auch einen Wettbewerb um die Talente. Aber unsere Branche hat so viele Benefits zu bieten – die müssen aber auch kommuniziert werden.“

Afterwork im Reisebüro
Harald Hafner mit Kerstin Dohnal (Foto: Cornelia Kühhas)


 
Harald Hafner, Marketingexperte und Präsident des Travel Industry Club Austria, sieht einen Schlüssel für die Zukunft der Reisebüros im Employer Branding. Sein Ansatz beim Thema Wertschätzung beginnt beim internen Marketing. Mitarbeiter*innen wie Kund*innen zu behandeln, macht hier den Unterschied. „Wir müssen uns um unsere Mitarbeiter*innen genauso bemühen, wie um unsere Kund*innen, und ihnen unsere Wertschätzung entgegenbringen.“ Mitarbeiter*innen sind nicht nur Leistungs-, sondern auch Imageträger*innen (Markenimage), die interne Markenführung ist demnach für Hafner das wichtigste Instrument des Employer Brandings.

Die Beratungsleistung wird im direkten Kundenkontakt erstellt bzw. vermittelt und bietet den perfekten Anknüpfungspunkt für Markenbegeisterung (Brand Commitment), Markenkonformes Verhalten (Brand Citizenship Behavior) und Markenorientierte HR Kommunikation, Personalmanagement und Führung sowie die Organisationsstruktur und -kultur.

Fast 100% der Leistung wird von Mitarbeiter*innen im direkten Kundenkontakt erbracht. Damit sind die Mitarbeiter*innen jene, die das Markenversprechen einlösen müssen (Moment of Truth). Daher sollte sich die Branche selbst nach Ansicht von Harald Hafner mit folgenden Fragen kritisch auseinandersetzen:

  1. Kenne ich die Anforderungen meiner Mitarbeiter*innen (z.B. durch Zufriedenheitsbefragung)?
  2. Gibt es eine Employee Value Proposition?
  3. Ist die Kompensation wettbewerbsfähig und drückt sie Wertschätzung gegenüber der Arbeitskraft aus?
  4. Gibt es Transparenz und Fairness bei der Kompensation?
  5. Reichen meine Bemühungen, Mitarbeiter*innen für die Branche zu begeistern, aus?
  6. Wende ich Interne Markenführung an, oder halte ich das nur in größeren Unternehmen für relevant?
  7. Gebe ich kooperativen, kompetitiven Modellen auf der Ebene von Sozialpartnern den Vorzug?

Alles in allem könnte man mit dem Thema gleich mehrere Veranstaltungen füllen, doch folgendes Zwischenfazit kann jetzt schon gezogen werden:

  • Das Geschäftsmodell der Reisebüros verändert sich gerade und die Branche transformiert sich, was natürlich nicht ohne Wachstumsschmerz passieren kann. Provisionen wie früher sind passé und sie allein trügen auch die Mehrkosten durch die neuen Rahmenbedingungen und den Mehraufwand nach Corona nicht mehr.
  • Reisebüros und ihre Mitarbeiter*innen dürfen selbstbewusster auftreten und Wertschätzung für ihre Leistung einfordern – auch monetär. Eine Kampagne zur Bewusstseinsbildung und Aufklärung könnte hier ein guter Start sein.
  • Die Branche darf durchaus auch von der Politik die Anpassung der Rahmenbedingungen fordern, sofern sie dazu beitragen kann.
  • Spezialisierung und Mut zur Nische schützt vor Beratungsdiebstahl und gibt der Nachhaltigkeit gleich eine doppelte Chance: die Stärkung des Geschäftsmodells und die notwendige Transformation des Arbeitsplatzes im Sinne des SDG 8 „Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum“.

Ein Videomitschnitt des Afterworks ist in unserem Youtube-Kanal zu sehen:

https://www.youtube.com/watch?v=OsbnCYnCbt4